Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
Vom Netzwerk:
Und das ist weder richtig noch moralisch.»«Papa!», fuhr Marietta mich gekränkt an. Ihr Gesicht war aschfahl.«Du hast kein Recht, meine Ehre durch den Dreck zu ziehen», brach es aus mir heraus,«du bist ja nicht einmal meine Tochter!»
    Herr, erhöre mich. Nur vier Dinge kann man im Leben nicht mehr rückgängig machen. Deinen Ratschluss, vergangene Zeiten, den Pfeil, den wir abgeschossen, und die Worte, die wir ausgesprochen haben. Ich wollte es nicht sagen, hatte es nicht einmal gedacht, millionenfach war es mir im Kopf herumgeschwirrt, vierundzwanzig Jahre lang, jedes Mal, wenn ich sie mir anschaute, immer, wenn sie bei mir war, ich hatte es mir gewünscht, sogar darum gefleht, dass sich auf Mariettas Gesicht das Zeichen eines anderen abzeichnete, ein Leberfleck, ein Muttermal, ein Makel, der sie und mich erlöst hätte - doch dieses Zeichen habe ich nie gefunden, und nun suchte ich nicht mehr danach, es hatte ohnehin keine Bedeutung mehr. Aber diese unnötigen, schon toten Worte füllten sich mit so viel Gehalt, dass ich glaubte zusehen zu können, wie sie sich im ganzen Raum aufblähten und in Form einer Schlammwelle auf uns zurollten und über uns einstürzten.«Wenn du nicht mein Vater bist, brauchst du dich auch nicht mehr um meine Tugendhaftigkeit zu kümmern», sagte Marietta eiskalt. Sie wies mir die Tür. Ich zögerte. Der düstere, milchigweiße Himmel hinter den Fenstern kündigte von einem unmittelbar drohenden Schneesturm. Ich wollte ihr die Hand reichen, sie umarmen, mein Gesicht
in ihrem Haar verbergen, ihr sagen, dass es völlig unwichtig sei, ob sie meine Tochter sei oder nicht, dass Blut lediglich eine Farbe sei, aber sie sei doch mein Funke, meine geliebte Tochter, für immer und ewig. Doch ohne mich umzudrehen ging ich hinaus.
     
    Ich hatte diesen Tag derart lang gefürchtet, dass er, als er schließlich kam, fast unbemerkt an mir vorüberzog. Bereits neun Jahre hegten Marietta und der Juwelier die Absicht auszuziehen, die sie nun von einem Tag auf den anderen und ohne uns vorzuwarnen in die Tat umsetzten. Sie liehen sich ein Boot, beluden es mit Truhen voll Kleider und Geschirr und hatten in nur zwei Stunden ihre Wohnung leer geräumt. Während die Lastenträger ihren Hausrat und all ihre Bilder mit den Goldrahmen und Holzschnitzereien die Treppe hinunterschleppten, stand ich mit meiner Frau in der Loggia und sagte mir immer wieder, dass das alles unvermeidlich und richtig sei und zum Wohle meiner Familie und für mein eigenes Seelenheil geschehe. Als jedoch ein Träger eine Kiste fallen ließ und lauter kleine Tiere aus Wachs und Pappmaché auf die Erde purzelten, als ich die Giraffe, das Zebra und das Kamel sah, fasste ich mir ein Herz und ging ihnen auf Wiedersehen sagen.
    Marco Augusta stand unten am Ufer und rieb sich in der Kälte des frühen Januarmorgens die Hände. Samtweiche Schneeflocken schwebten von einem wie mit dicken Wollknäueln behangenen Himmel herab. Weder sagte er mir, wo sie hinzogen, noch fragte ich ihn danach. Ich hoffte lediglich, sie würden so weit weggehen, dass mir nichts mehr von ihnen zu Ohren kam. Als ich anmerkte, dass ihnen der faule Iseppo ja gar nicht zur Hand gehe, teilte er mir mit, dass er ihn soeben entlassen habe. Er wolle keine Arbeiter oder Gesellen mehr zwischen den Füßen haben - und dieser Junge sei ein wahrhafter Verräter gewesen. Seiner Frau werde das Dienstmädchen genügen. Er zeigte auf eine schwarz gekleidete, buckelige Gestalt auf dem Boot. Mir war nie aufgefallen, dass
Marco Augusta eine Bedienstete im Haus angestellt hatte. Ich fragte mich, wie lange es sie wohl schon gab.
    Sie muss um die vierzig gewesen sein. Mit kräftigen Armen und bloßen Händen, völlig unberührt von der Kälte und dem Schnee, stapelte sie gerade auf dem Schiff die Wäschetruhen übereinander. Sie war eine recht füllige Person mit flacher Nase und einem dümmlichen Lächeln. Sie hieß Maddalena. Zum Juwelier sagte sie Maestro, zu meiner Tochter Madonna - respektvoll, aber ungehemmt. Marietta verfolgte, wie sie die Riemen um den Berg Truhen festzurrte. Selbst als ich zu ihr ging und mich neben sie ans Ufer stellte, mir meine vor Kälte brennenden Ohren rieb, selbst als wir Schulter an Schulter nebeneinanderstanden, sprach sie keine Silbe mit mir. Als alles verstaut war, legte sie mir die Schlüssel in die Hand. Zwei an der Zahl: Beim etwas größeren war der Goldüberzug fast vollständig abgeschürft, der andere funkelte wie neu - er war zwar kleiner, aber

Weitere Kostenlose Bücher