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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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noch, was dieser Irre von Doni schrieb? Und ist’s erwiesen allemal, vom vielen Schnuppern stinkt die Rose .»Da Marietta erwiderte, sie habe bereits zugesagt, ermahnte ich sie:«Mein lieber Funke, diese Zanetta will bloß, dass du ihr ein Paar schöne Brüste malst. Jeder Pinselpfuscher, der nichts von Entwurf, Farbe und Perspektive versteht, kann ein Paar Brüste malen, sie sind es nicht wert, sich die Augen zu verderben und Zeit und Mühen zu vergeuden.»«Selbst ein Fingernagel und eine Brustwarze sind es wert, Zeit und Mühen zu vergeuden», entgegnete Marietta.
    Das Modellsitzen zog sich den ganzen Sommer hin. Vielleicht war sie gern in Gesellschaft dieser Frau, vielleicht hatte sich Marietta aber auch im Lauf der Jahre - als ich mich für immer und ewig für die Schnelligkeit entschied - zur Langsamkeit entschlossen.«Je länger ich einen Menschen anschaue, desto weniger verstehe ich ihn», sagte sie.«Je mehr Besonderheiten ich entdecke, desto mehr entgehen mir. Dir gelingt es, das Wesentliche der Personen im Nu auf den Punkt zu bringen, ich brauche dagegen Zeit, um das Unwesentliche zu vergessen.»
    Zanettas Portrait, das ich nie zu Gesicht bekam, traf auf große Zustimmung. Vor der Haustür auf den Fondamenta erschienen
immer mehr Frauen, die ihr Gesicht hinter farbenfrohen Schleiern verbargen und in Begleitung ihrer bunten Dienstmädchen waren, die Hunde mit rosa gefärbtem Fell, als Edelfräulein verkleidete Affen, blaue Katzen, die weich und aufgeplustert wie Baumwollwolken aussahen, und sogar einen kleinen Leoparden an der Leine hielten. Natürlich sorgten die Damen im Viertel für Aufregung. Auf der Sensa tummelten sich die Gondeln, und auf dem Campo schlenderten junge Kerle mit verziertem Barett auf und ab und warteten, dass ihre Gefährtinnen wieder aus meinem Haus kamen.
    «Deine Tochter malt inzwischen nur noch Huren», teilte mir Faustina mit. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich sicherlich widersprochen und behauptet, diese Schönheiten seien keine Huren, sondern Freudenmädchen, also Menschen, die ausschließlich dafür da waren, anderen Freude zu bereiten. Für eine Gesellschaft sind sie so wichtig wie Geistliche und Ehefrauen. Aber in Wahrheit waren diese Frauen, die sowohl gemalt als auch bemalt in auffallenden Kleidern und schamlos hohen Absätzen, die sie riesengroß erscheinen ließen, geräuschvoll die Treppe herunterschritten, tatsächlich nichts anderes als Huren.
    Der Handel mit anstößigen Portraits kam weder Mariettas noch meinem Namen zugute. Dennoch wählen nicht wir die Kunden aus, sondern sie uns. Offensichtlich waren diese Frauen sehr zufrieden. Vielleicht weil Marietta ihnen die Aufmerksamkeit schenkte, die andere ihnen versagten. Andere Maler verschwendeten gewiss nicht einen Monat Arbeit für eine Frau von zweifelhaftem Ruf. Nach Mariettas Tod bedauerte ich es sehr, so verbittert mit ihr darüber gestritten zu haben. Hätte ich gewusst, dass ihr nur noch so wenig Zeit zu leben blieb, hätte ich sie anders genutzt.
    Was diese Frauen mit Marietta gemein hatten, begriff ich zu spät. Ebenbürtig waren sie ihr jedenfalls nicht, denn sie besaßen weder Bildung noch Leidenschaft oder Verstand. Möglicherweise
hatten sie nicht einmal eine Seele. Und die dachte sich Marietta auch nicht für sie aus. Sie erdachte ihnen aber einen Körper. Und was für einen, Herr. Wie gemacht für Liebeslager und lustvolle Höhepunkte - Körper, wie sie nur Männer zu sehen vermögen. Hüllenlose, zur Schau gestellte, begehrte Körper. Diese Schlafzimmerportraits bekamen sowohl Kaufleute, die auf der Durchreise waren, als auch Kapitäne, Priester und Senatoren zu sehen, die sich heimlich in diese Gemächer schlichen. Und obgleich niemand zugab, sie zu kennen, obwohl diese Bilder offiziell nicht existierten und nie existieren werden, wusste in Venedig jeder davon. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, dass eine Frau sie gemalt hatte. Diese Bilder, von denen ich nicht einmal einen Ausschnitt gesehen habe, waren meine, Herr.
     
    Den Silvesterabend verbrachten wir im Parlatorium von Sankt Anna. Es galt Perinas Weihe zu feiern, das wichtigste Ereignis im Leben einer Nonne. Mit Vollendung des Noviziats wurde sie noch am selben Tag Mutter . Ich war zutiefst berührt und hatte, um auf diesen Freudentag gut vorbereitet zu sein, auf Fleisch verzichtet und die Beichte abgelegt. Seele und Körper waren rein. Ich erinnere mich noch gut an jenen Abend, an dem wir alle zum letzten Mal zusammen waren: Wenige

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