Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
Vom Netzwerk:
eröffnete Faustina, dass die Grenzen des Annehmbaren überschritten seien. Je länger man in der Scheiße wühle, desto schlimmer werde ihr Gestank.«Sag Marietta, sie möge auf den Namen unserer Familie Rücksicht nehmen und aufhören, mit dieser Frau zu verkehren», forderte ich sie auf. Meine Frau - die mit Laura in
der Küche saß und vergeblich versuchte, ihr das Lesen beizubringen - schlug den Katechismus für Kinder zu und musterte mich kühl.«Mariettas Freundschaften gehen mich nichts an», sagte sie.«Davon abgesehen ist sie glücklich. Nach den vielen Jahren, in denen sie wie erloschen vor sich hinvegetiert und nichts mehr zustande gebracht hat, arbeitet sie nun endlich wieder, macht ihre Geschäfte, und die gelingen ihr gut. Mein Wunsch war es nicht, ihr das Malen beizubringen, das hast du getan. Du hast es so gewollt. Ich habe damit nichts zu tun, Jacomo.»Das war ein gemeines, schäbiges und ziemlich dürftiges Argument. Und ich konnte nicht zulassen, dass irgendetwas Gemeines, Schäbiges oder Dürftiges mit meinem Leben in Berührung kam. Ich hatte die irdischen Eitelkeiten überwunden. Ich war ruhig und gelassen, nichts konnte mich mehr erschüttern. Ich hatte alles hinter mir gelassen. Lebte nur noch zwischen den heiligen Schriften und dem Paradies - im Wissen um die Nichtigkeit des Daseins, insbesondere des meinen.
    Dieser Dorn in meinem Auge musste jedoch weg. Diese geschmacklosen Tintorettobilder, die in den Alkoven skrupelloser Frauen wucherten, Zeugen von Verhandlungen mit der Lust, von Befingern, schleimigem Oralverkehr und gekaufter Begattung. Diese entblößten Weiber, die so aussahen, als hätte tatsächlich ich sie gemalt. Nun, Herr, auch ich war bei diesen Frauen. Auch ich habe sie portraitiert: Camilletta dell’Orto war die schönste Frau Venedigs und Veronica Franco die berühmteste - nur Marietta hat gleiche Berühmtheit erlangt. Die Erste bezahlte mich, indem sie sich mit ihrer Schönheit, die ich publik gemacht hatte, auf privater Ebene revanchierte, die Zweite schenkte mein Gemälde sogar dem König von Frankreich. Diese Frauen zu malen hat mir genauso viel Ruhm eingebracht wie ihnen. Somit waren wir quitt: Die Bekanntheit des einen hat die der anderen vervielfacht und umgekehrt. In meiner Jugend fand kein Kardinal es ungehörig, bei einem Freudenmädchen zu Abend zu essen oder zu schlafen. Da es
ihre Pflicht war, Konversation betreiben zu können und vornehm zu wirken, nahmen sie sogar an Gedichtabenden teil. Sie konnten mit Italiens bester Jugend mithalten. Alle intelligenten Männer - wie auch ein paar Edeldamen - suchten sie auf. In meiner Jugend war der Körper so frei wie der Geist. Er wurde getauscht, benutzt, verschenkt, gekauft, in jeder Stellung und in jedem Winkel ausprobiert, wie ein Instrument bespielt, dargeboten, geteilt - und niemand störte sich daran. Blut, Sekret und nacktes Fleisch riefen weder Ekel noch Angst hervor.
    Inzwischen jedoch war alles anders geworden. Das heilige Konzil hatte neue Verhaltensnormen festgelegt - sowohl für Priester als auch für uns. Diese Reform der Sitten ließ am Ende all das inakzeptabel erscheinen, was noch dreißig Jahre zuvor zu den Angewohnheiten eines jeden gehörte. Unsere süße Freiheit bezeichnete man nun als Verderbnis, Unmoral und Unzucht. Sie sprachen von Laster und Werteverfall. Für meine Generation war es beinahe natürlich, sich umzugewöhnen: Wir wurden schließlich älter, und die auferlegten Entbehrungen, die hauptsächlich unsere Kinder und Enkel betrafen, erschienen uns weniger bitter. Gewisse Dinge tat man nicht mehr, oder man tat sie doch - aber ohne viel Aufsehen und im Geheimen. Doch kein Kardinal, kein auf seinen Werdegang bedachter Politiker, kein achtenswerter Maler im Dienste frommer Bruderschaften oder des Staates hätte mehr seinen Namen mit diesen Frauen in Verbindung bringen wollen.
    Davon abgesehen malte ich Frauen nur ungern. Außer meine eigenen. Im Übrigen war das eine alte Geschichte. Und jener Mann war ich längst nicht mehr. Bedenke, Herr, dass es nicht um die Brillenmacherin ging, sondern um mich.
     
    Es war das letzte Mal, dass ich in Mariettas Wohnung hinaufstieg. Mit größter Vorsicht näherte ich mich dem Thema. Ich wollte nicht in Streit geraten. Mit viel Feingefühl hob ich an, dass gewisse Frauen Maler dringender bräuchten als umgekehrt. Daher
suchten sie nach uns, umgarnten uns und böten sich uns dar. Selbst die verführerischsten Schönheiten, die wir nie bezahlen könnten. An

Weitere Kostenlose Bücher