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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Wochen später hat sich Zuane auf und davon gemacht. Marietta saß neben dem Gitter, schaute aber unentwegt, als erwartete sie noch jemanden, zur Tür des Parlatoriums, die zum Ufer hin offenstand. Wir hatten uns mittlerweile daran gewöhnt, in dieser Form zusammenzukommen - die Nonnen auf der einen, wir auf der anderen Seite des Gitters. Wir redeten wild durcheinander, machten unsere Späße, tranken vorzüglichen Muskateller, waren in euphorischer Stimmung. Faustina wollte ihren Töchtern eine Nonnenweisheit abkaufen, mit der eine ihrer Freundinnen die Liebe ihres Mannes zurückgewinnen könne: Nonnen kennen in der Tat Zaubersprüche, mit denen sie die Liebe der Männer entfachen und vor allem aufrechterhalten
können. Der Gemahl dieser Freundin habe sich im Lauf des Älterwerdens zwar nicht in ein junges Mädchen oder in eine von diesen anderen, aber in die Menschheit verliebt, und er beabsichtige, die ganze Welt zu erlösen. Unsere Nonnen - die sofort verstanden, dass diese imaginäre Freundin Faustina selbst war - erwiderten ein wenig verwundert und entrüstet:«Aber Mama, was fällt dir ein, das ist Aberglaube, so etwas gibt es hier nicht.»
    Lucrezia erzählte allen von ihren Studien und dass sie ihr Interesse für Astronomie, das Regelwerk der Planeten, des Himmelszeltes und des Verlaufs der Himmelslinien entdeckt habe - gedankenverloren und mit einem leisen Lächeln auf den Lippen nickte Marietta ihr zu. Perina stieß Lucrezia in die Seite und unterbrach sie unentwegt: Krampfhaft bemühte sie sich, Marietta eine weiße Leinwand zu zeigen, die von Tausenden unsichtbaren Punkten durchlöchert war. Sie stopfte sie - völlig zerknüllt - durch das Gitter hindurch.«Kannst du es sehen?», fragte sie.«Was soll ich da sehen können?», fragte Marietta verwundert zurück.«Die Zeichnung», erwiderte Perina,«berühr sie mit den Fingerspitzen, spürst du nicht die Löcher? Du zeichnest mit dem Bleistift auf Papier, ich mit der Nadel auf Leinen. Du malst, ich sticke. Jetzt werde ich die Farben hinzufügen - nur dass meine Farben aus buntem Garn bestehen. Erkennst du, was es darstellen soll?»
    «Nein, ich erkenne nichts», sagte Marietta und putzte sich die Augengläser mit einem Taschentuch. Auf einmal tauchte - völlig außer Atem und mit von Schneeflocken weiß getupften Haaren - am Ausgang zum Ufer Iseppo auf, der Geselle.«Marietta!», rief er mit einer Vertrautheit, die uns alle ein wenig beschämte. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie erschrocken aufsprang. Sie gab Perina das weiße Leinen zurück und warf sich den Pelzmantel über:«Ich muss gehen, Perina.»Sie beugte sich vor und drückte ihre Lippen vor die Absperrung. In der Eile küsste sie gleichzeitig das Gitter und den Mund ihrer Schwester.
    «Wo willst du hin?», fragte ich sie und hielt sie am Ärmel zurück.
«Wir feiern doch gerade für Schwester Perina ein Fest, es ist der wichtigste Tag ihres Lebens.»«Ich weiß, und es tut mir ja auch leid», sagte sie leise,«aber das ist er auch für mich.»Gern würde ich glauben, dass Marietta es bedauerte und sich vornahm, ihren Schwestern bald wieder einen Besuch abzustatten, um sie ob ihres überhasteten Aufbruchs um Verzeihung zu bitten. Aber Marietta ließ sich kein einziges Mal wieder im Kloster Sankt Anna blicken.
    Später berichtete mir Dominico, die Brillenmacherin habe am ersten Januar entbunden. Erst da wurde mir klar, für wen die Wollsöckchen und Häubchen, Leibchen und Betttücher gedacht waren, die Marietta - höchst merkwürdigerweise, hatte sie doch bisher niemand mit Nadel und Faden in der Hand gesehen - in jenem Winter anfertigte. Da wir uns einbildeten, sie nähe sie für ihre eigenen, ungeborenen Kinder, waren wir derart erschüttert und schmerzlich berührt, dass wir so taten, als merkten wir nichts. Nur die kleine Laura konnte sich nicht zurückhalten. Als Kind in einer Welt der Erwachsenen wartete sie vergebens auf einen kleinen Bruder - oder wenigstens auf einen Neffen.«Wann wird es auf die Welt kommen?», fragte sie Marietta. Entsetzt schauten wir uns an.
    Nun war also Zanettas Kind geboren. Nicht ihre Liebhaber waren zur Taufe erschienen, sondern alle ihre Freundinnen - ein Haufen Dirnen, der von der männlichen Jugend von Cannaregio, die sich auf dem Vorplatz drängte, beklatscht wurden. Auch meine Tochter war dabei. Wahrhaft leichtsinnig von ihr. Wer der Vater des Kindes war, wurde nie bekannt. Die Brillenmacherin aber benannte das Kind nach ihr: Marietta.
     
    Ich

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