Tintorettos Engel
ansonsten mit dem anderen identisch. Wie benommen starrte ich sie an, während Marco Augusta bereits auf das Boot sprang.
Marietta kletterte auf den Haufen mit den aufgetürmten Möbelstücken. Ich hielt ihre Schlüssel fest in der Hand: Die messerscharfen Zacken bohrten sich tief in meinen Handteller. Mir war, als hätte sich das Ganze bereits vor ewigen Zeiten ereignet - als spielte sich gerade eine Szene ab, die ich in weit zurückliegender Vergangenheit schon einmal erlebt hatte. Daher fühlte sich auch der Schmerz, den mir diese plötzlich so grausam aufgerissene Wunde zufügte, längst nicht mehr so stechend an wie irgendwann einmal. Auf ihrem obersten Koffer sitzend, dem Thron ihrer Möbelpyramide, sah ich sie wegfahren, während die Schneeflocken um sie herumwirbelten. Erhobenen Hauptes und in einen weißen Pelzmantel gehüllt, das Gesicht hinter der grün getönten Brille versteckt und über dem Kopf ein kleines Seidenschirmchen, das den Schnee abhielt. Sie sah aus wie die Königin über ein Reich aus Schutt und Asche.
29. Mai 1594
Dreizehnter Fiebertag
Erst waren die Arbeiter nur damit beschäftigt, die Truhen und Koffer vom Boot zu heben. Keuchend und fluchend schleppten sie anschließend alles die Stufen hinauf. Dann holten die Dienstmädchen nacheinander die Laken, Tischtücher und Wäsche wieder heraus und sortierten sie in die Schränke und Truhen zurück. Dominico öffnete die Fensterläden und nahm die staubdichten Tücher von den Möbeln. Als befänden sie sich in Gegenwart eines Toten, sprachen alle mit leiser, gedämpfter Stimme. Für meine Frau tat es mir besonders leid. Es hätte mich gefreut, sie glücklich zu machen - ich wäre wirklich gern gefahren. Aber ich war nicht in der Lage, auf ein Boot zu steigen und aufs Festland zu fahren. Niemals werde ich die Kutsche erreichen, die in Marghera auf uns wartete. Dominico und Schila wollten mich wie einen toten Körper auf das Boot hieven. Aber ich war ohne Bewusstsein, im Delirium. Carpenedo ist so weit wie Augsburg, wie das Reich der Ficenga. Dorthin werde ich nicht mehr kommen. Mein Körper hat entschieden, dass das Ende hier kommen wird. In diesem Raum kann ich noch immer ihre Schritte hören, das knarrende Gebälk hat ihre Stimme bewahrt.
Meine Frau entlohnte den Fährmann für die Unannehmlichkeiten und mietete ihn gleich für die nächsten Tage, da wir seine Dienste, wenn der Zeitpunkt auch nicht genau feststand, noch benötigen würden. Der Dienerschaft teilte sie mit, die Abfahrt sei aufgrund einer leichten Unpässlichkeit des Maestros nur verschoben worden. Sie erteilte so lange Anweisungen, bis alles wieder an seinem Platz war. Dann ließ sie sich erschöpft auf ihren Kleiderkoffer
fallen. Wieder auspacken wollte sie ihn nicht. Ob sie damit ein Unheil abwenden wollte oder ob es einfach Verzweiflung war, weiß ich nicht. Der Koffer steht auf jeden Fall noch immer da: ein massiger Klotz in der Dunkelheit, der wie eine Insel in der Lagune aus dem Teppich ragt. Faustina zog den Schleier zurück und deutete ein Lächeln an.«Dann fahren wir eben morgen in unser Landhaus, Jacomo, oder übermorgen, sobald du wieder in Form bist.»Sie versuchte, mir gut zuzureden - oder sich selbst. Mir war, als würde sie erst in diesem Augenblick langsam begreifen, dass sich irgendetwas gerade verändert und bereits verändert hat - dass ich dieses Mal nicht zurückkehren werde.
Zum Mittag brachte mir Dominico ein Tablett mit Essen.«Pfau in Senfsauce mit schönen Grüßen von Ottavia», sagte er und hielt mir ein Stück Fleisch vor den Mund. Ich schüttelte den Kopf, mein Magen ist ein einziger harter Klumpen. Als ich zumindest daran schnupperte, gab sich Dominico zufrieden.«Dann esse ich eben für dich», sagte er und nahm einen Bissen.«Wir sagen Ottavia einfach, es hätte dir sehr geschmeckt. Du darfst mir aber nicht in den Rücken fallen. Ottavia hat das Essen eigenhändig für dich zubereitet, sie hat sich diese Illusion verdient.»Mein treuer Sohn ist mir in keiner Weise ähnlich. Wenn ich ihn anschaue, habe ich dennoch manchmal den Eindruck, mich selbst vor mir zu sehen, nur vierzig Jahre früher, und alles ginge noch einmal von vorn los.
Auch Dominico wünschte sich ein anderes Leben. Im Alter von zwölf Jahren bat er Marietta, mich zu überreden, ihn bei Marco in die Lehre zu schicken. Marietta könne stets auf ihn zählen, er werde auf immer und ewig ihr ergebener Page bleiben, aber ihr Rivale wolle er nicht werden.«Warum solltest du
Weitere Kostenlose Bücher