Tintorettos Engel
mein Rivale werden?», fragte Marietta neugierig. Sie hatte keine Angst vor ihm. Der Adler fürchtet nicht den Spatz. Sie war viel geistreicher als er und damals auch besser. Sie hielt Dominico für fleißig und zielstrebig, aber auch für einfalls- und phantasielos. Alle glaubten, dass sie
mein wahres Erbe antreten würde. Ich auch. Dominico hielt ihr Cornelias Bibel unter die Nase.«Schwör, dass du mir hilfst, Papas Einverständnis zu bekommen.»Und Marietta schwor. Der Pakt war besiegelt. Dominico wollte nicht Maler werden, sondern Dichter - Liebesdichter, wie Petrarca.
Dichter! Glaub nicht, Herr, dieser Entschluss hätte mir missfallen. Im Gegenteil, er schmeichelte meiner Eitelkeit. Ein Dichter als Sohn wäre mir eine große Ehre gewesen. Welch eine Genugtuung, den Namen meiner bescheidenen Vorfahren - Dominico Robusti - auf einem Buchdeckel zu lesen und zu erleben, wie mein Sohn vor Hunderten von Adeligen ein Gedicht vortrug. Doch Dichter stammten aus wohlhabenden Familien, aus Adelsgeschlechtern ohne materielle Sorgen, verbrachten ihre Zeit in ihren Palästen oder Villen auf dem Land damit, Verse zu komponieren, und warteten darauf, ein öffentliches Amt im Staat zu übernehmen oder zum Kardinal oder Bischof ernannt zu werden. Ich kenne nicht einen einzigen Dichter, der Sohn eines Malers ist. Da wird er wohl Priester werden müssen, ging mir nur durch den Kopf.
Ich fing an, Dominico unter meine Fittiche zu nehmen, wenn ich bei Freunden zum Abendessen eingeladen war oder zu den Versammlungen ihrer Akademien ging. Domenico Venier, ein hoch geschätzter Dichter und bei Venedigs Schriftstellern ein anerkannter Meister - die großen achteten ihn, die mittelmäßigen ließen sich von ihm ihre holprigen Verse korrigieren oder sogar gänzlich neu schreiben - riet mir, ihn von der öffentlichen Schule zu nehmen und einen Hauslehrer anzustellen. Der Junge zeige guten Willen und eine gewisse Begabung zu reimen, habe aber auch, das müsse leider gesagt werden, eine unerhört oberflächliche humanistische Bildung. Ein wahrer Dichter aber könne nicht ungelehrt sein. Er könne zwar vorgeben , unwissend zu sein, könne im Paduaner Bauerndialekt oder den Fischern nach dem Mund dichten - aber das sei dann eben vorgetäuscht.
Ich stellte einen frisch gebackenen und verlotterten Akademiker namens Evangelista ein, der in einem abgelegenen Dorf im Tibertal aufgewachsen und erst kürzlich nach Venedig gekommen war, beseelt von dem Wunsch, von Worten leben zu können. Um irgendwelche Prinzen, die auf der Suche nach Sekretären waren, auf sich aufmerksam zu machen, schrieb er lateinische Gedichte über die Hundejagd. Es kostete mich mindestens vier Bilder und drei Madonnen - also zwanzig Tintoretti -, um meinem Sohn die Sprache Vergils beizubringen. Abgesehen von liturgischen Versen und Gebeten, die wir äußerst phantasievoll radebrechten, konnte keiner in unserer Familie auch nur eine Silbe Latein: Und dieser über seinem Lukrez gebeugte kleine Junge, der nach einem langen arbeitsreichen Tag zwischen Leinwänden und Farben spätabends Hexameter gegen die Wand skandierte, erfüllte uns mit andächtiger Befangenheit. Ich nahm Dominicos Eifer sehr ernst. Er selbst hat sich im Übrigen auch immer ernst genommen.
Es gab nicht eine öffentliche Lesung, die er versäumte. Sobald ein bekannter Schriftsteller die Stadt besuchte, setzte er alles daran, ihm die Hand schütteln zu können. Ich spornte ihn an, sich vorzustellen und zu zeigen, dass auch er eines Tages Schriftsteller werden wolle, aber Dominico, vor Scham wie gelähmt, nickte nur und bekam kein Wort heraus. Er lebte in der Vorstellung, Schriftsteller seien eine Kongregation aus Aposteln der Weisheit, ernsthafte und gebildete Leute, die sich dem Glauben an das Wort verschrieben haben. Eines Tages begab es sich, dass er im Haus von Freunden mit einem Franzosen namens Montaigne, der sich auf der Durchreise befand, zu Abend speiste. Der Franzmann hatte sich dermaßen den Bauch vollgeschlagen, dass er Koliken bekam und zwei haselnussgroße Steine ausschied und zu guter Letzt seine Gastgeber fragte, wo sich denn die famosen Schönheiten Venedigs versteckten; er habe zwar schon Abertausende Huren gesichtet, aber nicht eine einzige Schönheit. Dominico fühlte sich in seiner nationalen Ehre tief getroffen und war empört, dass sich dieser
Gast angesichts der vielen Schätze, die Venedig hütete, lediglich für Frauen interessierte. Ein paar Jahre später erzählte ihm Evangelista,
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