Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
Vom Netzwerk:
Dominico.»
    «Nein, Papa! », schrie er förmlich,«da gehe ich nicht hin, es besteht keine Notwendigkeit, ein Testament zu machen, so krank
bist du nicht, nur sehr schwach.»«O doch, ich muss all das zu Papier bringen, was wir heute Nacht besprochen haben. Wie hast du immer gesagt, als du Latein studiert hast? Verba volant scripta manent , weißt du noch?»
    «Ich kann kein Latein mehr, habe ich alles vergessen.»«Selbst die Reime hast du vergessen? Suchst du nicht mehr danach?»«Ah, die ja, ständig, Vater. Ich kann nicht gut einschlafen. Wenn ich wach im Bett liege, fülle ich immer im Geist das Wörterbuch der Zwillingswörter auf. Wenn ich es eines Tages niederschreiben wollte, müsste ich aus sämtlichen Lumpen dieses Reichs Papier herstellen lassen. Aber um die Welt an meinen lyrischen Ergüssen teilhaben zu lassen, würde ich den Armen niemals ihr letztes Hemd nehmen. Die Welt hat keinen neuen Petrarca verloren, als sie den zweiten Tintoretto gefunden hat.»
    Dominico zog den Bettvorhang zur Seite. Erneut streckte ich mich auf meinem Bett aus. Die Sonne ging auf. Wie gern habe ich mir den Sonnenaufgang angeschaut. Die Sonne, wie sie aus dem Meer aufsteigt, die weichende Dunkelheit, die schattige Finsternis, die sich wie ein Vorhang vor Venedig zurückzieht. Das Licht streichelte sanft über die Laken, ein zarter, erster Sonnenstrahl, belebt von haltlosem, herumwirbelndem Staub. Myriaden, ja Millionen von Staubkörnern - leuchtend, pulsierend, lebendig. Wie erschöpft ich war, obschon ich mich so wohlfühlte. Mein guter Dominico schlug das Betttuch um und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Als er mir einen Kuss auf die Stirn drückte, dachte ich für einen Augenblick, nun wäre er mir endlich ein Vater und ich ihm der Sohn, unsere Zeit beendet.
    «Und hast du das Zwillingswort zu Hidalgo gefunden?», wollte ich noch von ihm wissen.«Nein», antwortete er und blies die Kerze aus.«Marietta hat genau den richtigen Namen ausgesucht. Er ist so wie ich. Ein Wort, das ledig bleibt.»

30. Mai 1594
    Vierzehnter Fiebertag
    Nach einer langen Schweigeminute fragte mich Antonio Brinis, ob ich noch eine Klausel oder ein Kodizill ergänzen wolle. Ich schüttelte den Kopf.«Ich füge nie etwas hinzu, Herr Notar, das müsstet Ihr wissen - gegenwärtig wichtige Dinge überarbeite ich sofort, alles weit Zurückliegende lasse ich so unvollendet und löchrig, wie es ist.»
    Gegenstände, die ich meinen Freunden zukommen lassen wolle? Wer mein Freund ist, hat bereits Gemälde von mir, und etwas anderes besitze ich nicht.«Maestro, von Gesetzes wegen muss ich Euch fragen, welche Bedürftigen, welches Hospital oder welche Einrichtung für Waisen, Jungfern oder reuige Sünderinnen Ihr zu begünstigen beabsichtigt.»«Mir reicht es, selbst arm gewesen zu sein, jetzt lasst mich an meine eigenen Waisen denken», erwiderte ich zur großen Entrüstung des gutmütigen Notars, der daran gewöhnt war, dass reiche Geizhälse in der Hoffnung, ihren Aufenthalt im Fegefeuer zu verkürzen, im Angesicht ihres Todes großzügige Schenkungen vornahmen, mit denen sie zu Lebzeiten gegeizt haben. Ich gehöre jedoch nicht dazu. Mein Paradies habe ich mir auf Erden gesucht, denn wer weiß schon, ob es mir jemals gegönnt sein wird, noch woandershin zu kommen. Was ich zu geben hatte, habe ich bereits verteilt, und der Rest gebührt meinen Lieben. Mir schwirrt immerzu der Satz eines Philosophen namens Bacon im Kopf herum. Er besagt, dass wir nicht erst im Tode barmherzig sein sollen, weil unsere Richter sehr wohl wüssten, dass uns dann unsere Reichtümer nicht mehr gehörten.
    «Und Ablauf der Beerdigung, Liturgie, letztes Gewand, nicht
einmal das wollt Ihr festlegen, Maestro?»«Was schert mich das, Herr Notar», sagte ich murrend,«darum wird sich meine Frau kümmern, seit Ewigkeiten träumt sie davon, mich einmal im Gewand eines echten Signore zu sehen, und anstatt ihr diesen harmlosen Wunsch zu erfüllen, habe ich sie deswegen verspottet. Überlasst es meiner Gemahlin, mir den Adelstalar anzulegen und mich im Sarg als Pavian zu verkleiden, so werde ich sie wenigstens einmal in ihrem Leben damit glücklich machen. Nun ist aber Schluss, Eure Anwesenheit verheißt mir nichts Gutes, ich bin schon müde und erschöpft, hinaus mit Euch - ich erwarte noch jemanden.»
    Bevor sie hinausgingen, unterschrieben die beiden Zeugen Iseppo da Murano und Sebastiano Franceschi das Papier, wünschten mir gute Besserung und dass ich mich bald wieder an die Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher