Tintorettos Engel
um das andere hat es sich bei ihm gehandelt. Vielmehr um dein Spielzeug, deine Bestrafung.
Vergeblich versuchte ich zu schlafen - dieses Mal hielten mich jedoch nicht ihre Schritte, das Knacken im Gebälk, das Beben der Holzdielen oder das quietschende Bett wach, sondern ein im Rauchfang hinunterdringendes Stöhnen, aus dem ich nicht heraushören konnte, ob es ein Hilferuf oder ein Lustschrei war.
Stundenlang hörte ich die Schritte der Hebamme, die meiner Frau und schließlich auch die des Chirurgen. Hin und wieder vernahm ich Mariettas Stimme und sogar einzelne Worte - selbst in einem solchen Augenblick blieb sie rücksichtsvoll.«Ich will nicht laut schreien, Papa darf sich nicht aufregen, gebt mir etwas, auf das ich die Zähne beißen kann.»
Sie lag in unserem Schlafzimmer - in meinem Bett. Aus ihrer Wohnung in San Giacomo dall’Orio hatte sie nichts mitnehmen wollen. Als ich Schila ihre Sachen holen schickte, kam er mit einem Geburtshemd, Windeln, einem Fläschchen Orangenblütenwasser und meinem Hochzeitsgeschenk zurück: dem Bildnis mit Marco Augusta. Es war ihr Glücksbringer - immer wieder beteuerte sie:«Jacomo, ich spüre deine unendliche Güte darin.»
In der zweiten Nacht kam der Chirurg und sagte, dass er, sobald die Gebärende tot sei, die Gebärmutter aufschneiden und das Kind holen werde, da die Möglichkeit bestehe, dass es noch lebe. Diese Operation führe man seit Urzeiten durch. Man möge ihn unmittelbar nach ihrem Ableben aufwecken, da der Körper der Mutter nicht steif werden dürfe. Daraufhin nickte er mit an die Wand gelehntem Kopf auf dem Stuhl ein. Faustina schickte nach dem Juwelier.
Ich hatte erwartet, er würde nun mit seinen Steinen herumklimpern - etwa dem Zitrin, der angeblich den Frauen bei der Entbindung hilft, oder dem meerblauen Beryll, den man einsetzt, wenn die Wehen ausbleiben. Stattdessen kniete sich Marco Augusta vor die Ädikula mit der immerzu von Kerzen beleuchteten Madonna, also vor unseren kleinen Hausaltar in der Ecke, und begann, den Rosenkranz zu beten. Ich fragte ihn, ob er für sie oder sein Kind bete.«Für Marietta», antwortete er beinahe gekränkt,«sie ist meine Gemahlin, mein Kind ist ein Unbekannter. Wenn es lebt, werde ich es lieben, wenn es sie umbringen sollte, werde ich es ihm nie verzeihen können.»
Wir knieten nebeneinander nieder - bis zur Morgendämmerung.
Mariettas unterdrücktes Wehklagen hinter der verschlossenen Schlafzimmertür ging mir durch Mark und Bein - genauso wie ihm. Heute verbindet mich nichts mehr mit Marco Augusta, seine Schwermut regt mich auf, sein Schmerz lässt mich so unberührt wie sein Schicksal. In jener Nacht aber vereinte uns eine vertrauensselige, ja überwältigende Zweisamkeit. In gewisser Hinsicht war dieser Mann aus meinem Mark - war er ich. Ich verspürte eine zärtliche Zuneigung für ihn, die ich selbst für meine eigenen Kinder nie empfunden habe. Gleichzeitig nagte aber auch eine stechende Eifersucht an mir. Schlapp wie zwei alte Kartoffelsäcke hockten wir nebeneinander, und ich konnte meine Augen nicht von ihm nehmen. Alle meine Töchter hielten den Juwelier immer für einen der attraktivsten Männer: hochgewachsen, schlank, stets elegant und edel gekleidet, von weltmännischer und vornehmer Art, glatte, braune Haut, schmale Hände, schlanke Finger und dunkle Augen mit langen Wimpern. Meine Hände dagegen sind groß und breit, und ich habe Schwielen am Daumen - dort, wo ich jahrelang den Pinsel festhielt; außerdem habe ich knochige Finger und ein vom Alter gezeichnetes, verunstaltetes Kreuz. Mein gedrungener, unförmiger Körper ist eine einzige Ruine. Marco Augusta roch nach Moschus und Amber, ich stank nach Angstschweiß. Der Juwelier war noch keine vierzig Jahre alt, hatte dichtes Haar und ein glattes, vollkommen makelloses Gesicht. Selbst als ich von ihm wegschaute, zeigte mir der über dem Kamin hängende Spiegel unser Bild. Seine breiten Schultern, seine langen Beine, seine hohe Stirn. Meinen struppigen, aschgrauen Bart, mein wirres Haar, meine Falten, meine Strapazen. Marco Augusta stand im Zenit seines Lebens. Ich betrat den Winter. Mein Leben begann zu erlöschen. Das Beste hatte ich hinter mir. Nichts konnte mich mehr überraschen. Alles hatte ich schon erlebt. Als der ersehnte Gast endlich zu quäken begann, wurde ich mir - mit einer Hoffnungslosigkeit, die mich seither nie wieder losgelassen hat - meines Alters gewahr, meiner siebzig Jahre.
Gemeinsam stürzten wir in das Zimmer. Faustina
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