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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Laurentius, eine Dornenkrönung - auch die düsteren, dramatischen Szenen, die mir in den letzten Jahren so gut gelungen seien. Selbst eine Skizze reiche aus. Ich entgegnete, dass ich nie wieder irgendetwas malen werde. Dem hätte ich nun nichts mehr hinzuzufügen. Alles, was ich zu sagen hätte, sei gesagt.
    Ich begleitete sie zur Tür. Schweigend und mit besorgten Gesichtern folgten sie mir. Sie können einfach nicht glauben, dass
meine sagenumwobene, fruchtbare Schaffenskraft versiegt ist. Da sie wissen, wie listig ich sein kann, fürchten sie, es könne sich um einen Trick von mir handeln, um an mehr Geld zu kommen - oder ich könne wahrhaftig schwer erkrankt sein. Dass sie dies als Gerücht in die Welt setzen, brauche ich allerdings nicht zu befürchten: Würden meine Beschwerden ernstlich einen unheilvollen Lauf nehmen, wären sie die Ersten, die es erführen und so viel wie möglich ankauften, bevor die Preise meiner Gemälde in solch verbotene Höhen stiegen, dass sie selbst den Makler des Kaisers abschreckten.
    Mein guter Dominico - der den Verhandlungen beiwohnte - flüsterte mir ins Ohr:«Nimm an, Papa, einige dich mit ihnen auf ein Portrait, eine halbe Stunde Posieren reicht schon, den Rest erledige ich, wir brauchen Geld, dringend.»Ich erwiderte ihm, dass wir, sobald es mir wieder besser gehe, den Benediktinern von San Giorgio Maggiore die Grablegung Christi bringen und dafür reichlich silbern glänzende Münzen einkassieren würden. Diese Einnahmen seien nämlich gewiss.
    Auf einmal erklang in der Stille ihr Name. Zuerst dachte ich, es sei eine Einbildung. Denn Marietta ist stets an meiner Seite, auch wenn die anderen es nicht merken. Gerne würde ich behaupten, sie sei mein Schutzengel - aber alles, was sie beschützt, ist ihr Geheimnis. Doch Kini hatte tatsächlich gesagt, dass der Kaiser etwas von Marietta wolle.«Bedenkt, Maestro, wie sehr Eure herrliche Tochter seinem Vater ans Herz gewachsen war. Maximilian II., Gott hab ihn selig, hatte ihr Portrait im Ankleidezimmer hängen, und allen Frauen, die sie anschauten, sagte er: Hier siehst du, was eine Frau werden kann . Tintoretta ist der Beweis dafür, dass Frauen, wenn sie von ihren Vätern wie Jungen erzogen und ihnen gleiche Bildung und Möglichkeiten eingeräumt werden, den Männern in nichts nachstehen. Kaiser Rudolf ist da zwar mehr als anderer Meinung! Er ist von Natur aus misstrauisch und hegt keine Sympathien für Frauen.»Doch er habe ihm eine
beachtliche Summe zur Verfügung gestellt, mit der er in Venedig das eine oder andere Werk von Marietta auftreiben möge. Aber er, Kini, habe keines gefunden. Wer eines besitze, wolle es nicht verkaufen, und andere wüssten nicht einmal, dass sie eines besitzen. Für einen Katalog, der nie angefertigt wurde, sei es nun zu spät. Schade, dass Marietta ihre Leinwände nicht signiert habe. Schade, dass heutzutage viele lieber herumerzählen, ein Werk von Tintoretto anstatt von Tintoretta erworben zu haben, schade, dass sie auf meine und nicht auf ihre Art gemalt habe. Barsch antwortete ich, dass es hier nichts von Marietta gebe.
    Unglücklicherweise stand die Tür zu meinem Atelier halb offen, wodurch an der hinteren Wand zwischen einem Tizian und dem Abdruck eines Akts von Michelangelo deutlich die junge Frau in Weiß zu erkennen war. Ihr Kleid strahlte in funkelndem Glanz. Ich persönlich war es gewesen, der das Bild in der Nacht zuvor umgedreht hatte. Ich wollte noch einmal ihren Blick einfangen. Ich wollte mich vergewissern, dass sie noch immer da und nicht in ihrem roten Kleid zwischen den Spinnennetzen im Schrank eingeschlossen war. Aber in dem Portrait schaut Marietta, unnahbar und entrückt, in die Leere, sie sieht uns nicht.
    Von ihr angelockt, ging Kini auf das Bild zu. Keinem Fremden war es jemals gestattet gewesen, in mein Reich einzudringen: Allerdings bewohnte ich dieses Reich nicht mehr. Aufmerksam betrachtete er sich die blonde Frau mit Perlenkette um den Hals und Notenblättern in der linken Hand. Er trat ein paar Schritte hin und zurück und berührte vorsichtig mit der Fingerspitze ihr Kleid. Die Farbe ist mit einer solchen Kunstfertigkeit aufgetragen, dass es wie echte Seide aussieht.«Ist das nicht deine Tochter?», fragte er mit einem Lächeln. Ich verneinte.
    Als Marietta daran gearbeitet hat, kam Kini jedoch zu Besuch. Ihm kann nicht entgangen sein, dass die blonde Frau Marietta ist. Einen Augenblick lang blieb er reglos und wie gebannt vor ihrem Bild stehen. Vielleicht fragte

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