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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Herz», versuchte ich sie umzustimmen. Vergebens. Es kam kein Versprechen, kein Flehen. Sie starrte mich mit ihren hellen, funkelnden Augen an und schwieg. Ich nahm mir vor, hart zu bleiben. Ein Vater darf nicht zögern oder zweifeln. Er muss resolut auftreten. Resolut sein . Ich wandte mich von ihr ab und hängte die Laterne an den Nagel. Dann ging ich an meine Leinwand zurück und beschäftigte mich wieder mit dem fliegenden Sankt Markus. Nach dreizehn Jahren Zank und Streit hatten sich die Mitglieder der Markusbruderschaft endlich dazu entschlossen, die Fortsetzung der Verkündigung ihres Evangelisten mir zu überlassen. Es handelte sich um ein recht einfaches Motiv: Der heilige Markus erscheint bei Unwetter im Augenblick eines Schiff bruchs auf stürmischer See und rettet auf wundersame Weise einen Sarazenen. Aufschäumende Wasserberge, im Meer verstreute Wrackteile, ertrunkene Körper. Die Komposition, die ich mir für das Bild ausgedacht hatte, war laut und gewaltig und würde dem Vorsitzenden gefallen, der mir persönlich den Auftrag erteilt hatte und aus eigener Tasche bezahlte. Doch ich spürte eine Unausgewogenheit, eine Leere im linken oberen Teil. Ich erwog, die Stelle mit einer Wolke auszufüllen - gleichwohl nicht mit irgendeiner: Kaum erkennbar, einer optischen Täuschung gleich, wollte ich Gott in ihr aufscheinen lassen. Aber nicht den Gott mit greisem, väterlichem, allzu menschlichem Gesicht - sondern den ohne Antlitz und Körper, das Mysterium Gottes, den Gott der Transzendenz und der Rache. Der über die Schicksale von Schlachten, Staaten, Befehlshabern und Seemännern, Prinzen und Sklaven entscheidet - über jeden von uns.
    Meine Eingebungen waren zwar gut, aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich war durcheinander, Herr. Meine Tochter ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Da sie sich in der Luft schwebend nicht mehr im Gleichgewicht halten konnte, hatte sie sich vornüberfallen lassen, und alles Blut sammelte sich in ihrem
Kopf. Ihr Gesicht war so scharlachrot wie ihr Kleid. Auf einmal fiel mir etwas auf die Hand. Warm wie ein Tropfen Wachs. Meine Tochter weinte. Trotzdem bat sie mich nicht, sie loszubinden.
     
    Ich brachte sie in die Küche. Leise wie Schatten glitten wir unbemerkt durchs Haus. Ich ließ Marietta auf einen Stuhl klettern. Dann löste ich die Nadeln, mit denen sie ihr Haar hochgesteckt hatte. Zwei dicke Zöpfe fielen auf die Schultern herab. Cornelia war immer der Ansicht gewesen, aus ihrer Tochter könne keine hübsche Frau werden, da sie ihr zu ähnlich sehe, mit dieser langen Nase und den zu großen Augen: Mariettas Mitgift aber war vielmehr ihr dichtes, gewelltes Haar. Zwar war es nicht so feuerrot wie das ihrer Mutter und auch nicht so rostbraun wie meines, dafür aber blond wie im Frühsommer die Ähren auf den Feldern. Weder Cornelia noch Faustina hatten es ihr jemals geschnitten. Nachdem ich sämtliche Schubladen durchwühlt und in der Dunkelheit keine Schere gefunden hatte, nahm ich das Brotmesser. Marietta verstand. Sagte keinen Ton. Auf Höhe der Ohren schnitt ich ab.
    «Du bist angenommen», sagte ich zu ihr,«ab heute bist du mein Gehilfe. Ich werde dir alles beibringen, was ich weiß, dafür erwarte ich von dir, dass du die Werkstatt in Ordnung hältst, meine Pinsel auswäschst, die Paletten abkratzt und die Reste in Öl aufkochst, den Boden schrubbst, meine Federn und Stifte spitzt, die Tinte vorbereitest und mir Kohle und Kreide bringst, wenn wir das Haus verlassen. Wenn du zu quengeln und jammern anfängst, dir werde vom Gestank der Farben schwindelig oder du seist müde und gelangweilt, werf ich dich raus. Hab ich mich klar ausgedrückt?»«Ja, Meister», entgegnete sie mir lächelnd. Mit den lieblos abgeschnittenen Haaren sah sie aus wie ein männliches Küken. Als sie auf mich zukam und mir einen Kuss geben wollte, versetzte ich ihr eine Ohrfeige.«Mein Gehilfe küsst mich nicht», sagte ich.«Schade», erwiderte Marietta prompt.
    «Was hast du getan?», schrie Faustina, als sie sie am nächsten
Morgen so zugerichtet sah. Marietta hatte sich ein stramm sitzendes, kurzes Jäckchen und ein Paar eng anliegende, karmesinrote Samthosen mit Muscheleinsatz angezogen, der dazu diente, das männliche Geschlecht zu schützen - oder hervorzuheben. Die Sachen gehörten Schila, der kaum größer war als sie. Faustina packte sie am Ohr und befahl ihr, sich auf der Stelle umzuziehen - sie schamloses Etwas - und ihr Haar mit einem Tuch zu bedecken. Ich erklärte

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