Tintorettos Engel
er sich, ob das Portrait ihr
wirklich ähnlich sah oder ob er sie reifer, fülliger, fraulicher in Erinnerung hatte. Die Frau auf dem Bild ist jung und zaghaft, vergräbt sich nahezu in den Falten ihres Kleides. Ihrem Blick ist eine leise Unruhe abzulesen.
Hastig holte mich Kini in der Vorhalle wieder ein. Er bot mir einen vortrefflichen Preis. Er würde für dieses Selbstportrait von herber Schönheit so viel wie für meines bezahlen.«Ich bin nicht interessiert», erwiderte ich kurz angebunden. Dominico wich die Farbe aus dem Gesicht. Erneut flüsterte er mir ins Ohr:«Nimm an, Vater, ich flehe dich an, wir brauchen dringend Geld. Ein Nachmittag, und ich habe eine Kopie angefertigt, die wir ihm dann verkaufen können.»Ich öffnete die Haustür, blieb auf der Schwelle stehen und bat die Deutschen zu gehen, auf der Stelle. Ohne sie anzuschauen, sagte ich noch einmal:«Es ist nicht meine Tochter.»
19. Mai 1594
Dritter Fiebertag
Faustina interessierte sich zu keiner Zeit für die Malerei.«Farben stinken, machen Schmutz- und Fettflecken, sie verbleichen den Stoff und ruinieren die Kleider», behauptete sie.«Deine Haut riecht nach Lack. Deine Finger sind voller Schwielen, weil du stundenlang den Pinsel in der Hand hältst. Vom ewigen Herumstehen vor der Staffelei bekommt man einen steifen Rücken. Wenn du so weitermachst, wirst du noch einen Buckel kriegen und lahm und blind werden.»Sie war eifersüchtig auf meine Gemälde und die Zeit, die ich ihnen widmete. Wenn ich sie zu lang vernachlässigte, riss sie die Tür zum Atelier auf und bewarf mich mit Trauben und Brotkanten.«Bist du endlich fertig? Das Essen steht auf dem Tisch, die Suppe wird kalt», keifte sie, als schlösse ich sie von einem Spiel aus, dem mein wahres Vergnügen galt. Oder aber sie machte einen riesigen Bogen um mein Atelier, als handelte es sich um ein feindliches Lager. Während es mir Freude bereitete, sie zu malen, denn als junge Frau war Faustina eine wahre Schönheit, empfand sie beim Posieren regelrecht Überdruss. Heute weiß ich, dass sie wahrscheinlich einfach keine Zeit hatte. In den ersten acht Jahren unserer Ehe bekamen wir fünf Kinder: Den von ihr gedungenen Ammen wurde nach kürzester Zeit die Milch sauer, und auch die Hausmädchen hielten es nicht lange bei uns aus. Immer wieder bezichtigte Faustina sie des Diebstahls, möglicherweise aus Angst, dass ich es sein könnte, den sie ihr wegnahmen. So war meine Frau stets von einer Horde Kinder umzingelt - eins nährte sie in ihrem Bauch, das andere krabbelte überall herum und rieb sich die Knie wund, das dritte verschmierte mit voller Hose den Teppich, das
nächste hatte Fieber oder rote Flecken im Gesicht. Marietta hatte sofort verstanden, dass sie mich nur in meinem Reich - zwischen den vier Wänden, in die ich mich tagsüber verkroch - für sich vereinnahmen konnte. Und das tat sie.
Sie hing mir ständig am Rockzipfel. Ich musste sie mit Gewalt von mir abweisen - wie eine Katze am Kragen packen und vor die Tür setzen. Was nicht hieß, dass sie mir gehorchte. Sobald ich die Tür offen ließ, schlich sie zwischen meinen Bildern und Skulpturen hindurch und kauerte sich hinter die Leinenreste, wo sie stundenlang ausharren und mich beobachten konnte, leise atmend und so unbeweglich wie ein Modell aus Pappmaché, dass ich sie nie gefunden hätte, wäre nicht einer meiner Gehilfen auf sie aufmerksam geworden. Sie stibitzte meine Pinsel, schlüpfte in meine Kittel und ahmte mich nach. Gekonnt imitierte sie meine Stimme und meine Grimassen, erzählte meine Witze und brachte alle zum Lachen. Andere zu parodieren und zu foppen fiel ihr so leicht wie mir. Bereits mit drei Jahren bekleckste sie mit ihren farbverschmierten Händen die Wände. Alles, was ich tat, wollte sie auch tun. Sie wollte meine volle Aufmerksamkeit und wusste, wie sie sie bekam. Ob ich wollte oder nicht. Als Cornelia eines Tages krank war und ich Marietta für ein paar Wochen zu mir nahm, bekritzelte sie den weißen Körper der Susanna. Ich befahl ihr, die Hand auszustrecken, und gab ihr mit der Rute ein paar auf die Finger.«Marietta», ermahnte ich sie,«wenn ich dich noch einmal hier in meinem Atelier erwische, werde ich fuchsteufelswild.»«Dafür musst du mich erst einmal finden», erwiderte sie und streckte mir verschmitzt ihr freches Gesichtchen entgegen.
Mein Atelier lag im abgelegensten Teil des Hauses hinter dem Treppenaufgang. Bei jedem Schritt, den die Bewohner im darüber liegenden Stockwerk taten,
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