Tintorettos Engel
bemerkte.
Schließlich brachte ich die Mauer doch zum Einsturz. Ich hatte Geduld bewiesen oder einfach Glück gehabt. Wahrscheinlich ist mein Freund mein Glück gewesen: Marco Episcopi, genannt Zifra, der Nuschler, denn zuweilen sprach er eine höchst unverständliche, scheinbar verschlüsselte eigene Sprache. Er schielte, stotterte ein wenig, war behaart wie eine Ziege und der Sohn eines langfingrigen Apothekers, der seine Schulden im Gefängnis absaß. Marco heiratete Gerolima, eine reiche und wunderhübsche Frau, die ihn sogar liebte und ihm unter den Männern seiner Generation ein unangefochtenes Ansehen verschaffte. Als guter Freund von Andrea wurde er auch mein Freund. Zifra träumte davon, eines Tages ein wichtiger Funktionär des Staates zu werden, schaffte es aber nur bis zum gewöhnlichen Schreiber. Aufgrund seines unzulänglichen Redetalents konnte er einzig in den Bruderschaften eine bedeutende Position anstreben. Und das gelang ihm. Im Alter von fünfunddreißig Jahren saß er bereits im Leitungsgremium: Er bekleidete das dritthöchste Amt der Markusbruderschaft, als diese für ein Gemälde im Kapitelsaal einen Maler suchte - und er machte all seinen Einfluss geltend, damit der Auftrag an mich ging.
Möglicherweise könnte aber auch mein Feind mein Glück gewesen sein: Tizian - den der Erfolg aus Venedig herausgelockt und so lange ferngehalten hatte, bis ihn vom kaiserlichen Hof in Augsburg nichts mehr wegkriegen konnte. Man kann es Schicksal nennen oder Zufall; ich betrachte es jedoch gern als ein Wunder. Denn an Wunder habe ich zeitlebens geglaubt. Und tatsächlich war es das Sklavenwunder , das meinem Leben eine Wende gab.
Mein Gemälde wurde abgelehnt. Einige Mitglieder der Laienbruderschaft hielten es geradezu für grauenhaft. Lauthals posaunten sie ihr Missfallen in die Welt hinaus. Diese kalten, beißenden Farben. Kein Vergleich mit der eleganten Sanftmut eines Tizian. Diese unnatürliche und gezwungene Haltung der Figuren. Wie eindimensionale Skulpturen. Diese überladene, unruhige Oberfläche. Und alles so schmucklos. Eine Frau mit schmutzigen Füßen. Ein Heiliger, der wie ein Stück Federvieh kopfüber hängt. So etwas habe es in Venedig noch nie gegeben. Der Maler müsse wahrlich ein arroganter Mensch sein, so wie er dem Betrachter sein Talent um die Ohren werfe. Talent aber sei hier nicht gefragt: Er werde bezahlt, um den heiligen Markus, den Schutzpatron der Serenissima, in Ruhm erstrahlen zu lassen. Wer war dieses Färberlein, das sich für Michelangelo hielt? Warum kehrte es nicht einfach in die Werkstatt seines Vaters zurück und färbte Stoffe?
Ich war zerstört. Ich hatte meine Gelegenheit bekommen und war gescheitert.«Na gut, meine hoch verehrten Herren», sagte ich und versuchte gleichgültig zu wirken, obwohl sie mich fast hingerichtet hatten,«wenn es nicht zu Eurer Zufriedenheit ist, nehme ich es wieder mit.»Insgeheim hegte ich die Hoffnung, dass sie mich zurückhielten, jemand zu meiner Verteidigung den Mund auftat. Stattdessen waren sie sich allesamt einig, und Zifras Protest verebbte in zusammenhangslosem Gestammel. In einer Stille, in der es vor Missbilligung und Genugtuung ob meines Reinfalls nur so brodelte, entfernte ich das Bild aus dem Rahmen. Mit meinem eingerollten Wunder unter dem Arm zog ich ab.
Doch der Skandal nährte die Gerüchte, und die Gerüchte nährten den Ruhm. Dies eine Mal hielten die Schriftsteller wahrhaft zu mir. Mit leidenschaftlicher Hingabe können sie sich für Unbekannte gegen den Rest der Welt einsetzen. Was sie jedoch nicht ertragen, ist, wenn der einmal berühmt gewordene Unbekannte ihre Unterstützung nicht mehr benötigt.«Was kümmert dich der Verriss der dreißig Kunsthändler?», munterte mich Pietro
Aretino auf - der mich später verleugnen und mit verächtlichem Schweigen bestrafen sollte.«Die braven Bürger kommen immer etwas später: Du aber bist die Zukunft. Schreite voran, sie werden dir hinterherlaufen.»
Schließlich wurde einfach jeder auf das Bild aufmerksam. In allen Kreisen war es Gesprächsthema. Es nicht verstanden zu haben bedeutete rückständig, unfähig, stumpfsinnig zu sein. Ich war entdeckt worden und mein Name in aller Munde. Völlig unerwartet, als ich den Glauben daran bereits verloren hatte, war aus mir jemand geworden.
Der Triumph schmeckte bitter. Meine Stadt feierte mich gegen ihren Willen. Sie gewährte mir diese Stunde des Ruhmes in der Zuversicht, dass sie bald vorüber sei. Als sich die Neugier um
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