Tintorettos Engel
eine beachtliche Summe gekostet und für Neid und Ärger in der Stadt gesorgt. Neureiche Emporkömmlinge, aufgeputzte Krämer wurden sie von den Adeligen genannt - die sich von dieser bürgerlichen Meute herausgefordert und übertroffen fühlten. Wahre Christenherzen wurden sie dagegen von den Armen genannt - die sich von ihnen behütet und beschützt fühlten. Der neue Standort mitten im Zentrum von Venedig war imposant und hatte in seiner Pracht beinah etwas Kränkendes. Das massive Portal war versperrt.«Was ist das für ein Gebäude?», fragte meine Tochter flüsternd und hielt mich, vom Prunk des Bauwerks beeindruckt, am Ärmel zurück.«Dies ist ein Ort, wo den Armen geholfen wird, in Würde
zu leben, die Reichen sich den Eintritt ins Himmelreich erwerben und Maler die Gelegenheit bekommen, Ruhm zu erlangen», antwortete ich.
«Hast du Angst», fragte ich sie, als ich merkte, wie sie zitterte.«Ja, weil du Angst hast, Papa», erwiderte sie. Sie hatte recht. Ich war im Begriff, eine Straftat zu begehen. Mehrere Straftaten. Als ich wie ein Wiedehopf zu pfeifen begann, öffnete der Wärter das Tor. Ich hatte ihn bestochen. Hastig schob ich Marietta und Schila durch die Tür, die sogleich wieder ins Schloss fiel.«Beeilt Euch», ermahnte mich der Wärter,«sie ahnen etwas, den ganzen Tag wurden wir überwacht, auf der Ratsversammlung hieß es, jemand habe die Schweigepflicht verletzt, möglicherweise sei ein Maler informiert worden, Euer Name fiel auch.»
Der Wärter hatte die Sprossenleiter, mit der Seeleute Schiffsflanken hinauf- und hinabklettern, die Taue und Bretter zum Verankern sowie Nägel und alles andere, um das ich ihn gebeten hatte, besorgt. Dennoch bangte ich, es nicht zu schaffen, mit meinem Plan elendig zu scheitern - und den letzten Rest meines Rufs zunichte zu machen, wie auch meinen Traum. In völliger Dunkelheit tasteten wir uns an der Wand entlang die prunkvolle Treppe hinauf. Im ersten Stock hallten unsere Schritte laut durch den leeren, weiten Saal. Als Schila mit der Leiter an die Wand stieß, fuhren wir alle vor Schreck zusammen. Etwas Weiches plumpste auf den Boden. Ich entzündete die Laterne. Es waren Kanevasse und Standarten, die an der Wand lehnten. Sie stanken nach Wachs und verbranntem Öl, waren verschossen und uralt. Ich hielt es für eine Schande, dass die reichste Bruderschaft der Stadt ihren Repräsentationssaal mit derartigen Lumpen ausstattete. Man müsste einen Maler mit der Anfertigung neuer Gemälde beauftragen. Und der wollte ich sein. Schila hob die Leinwände auf, um sie wieder an ihren Platz zu stellen, wodurch wir Zeit verloren. Mein Herz raste.
Im Herbergssaal angekommen, stellte ich die Laterne auf den Boden, damit das Licht nicht durch die Fenster nach außen
dringen und uns verraten konnte. Während Schila und der Aufseher die Leiter anbrachten, zeigte ich Marietta an der Decke die leere Stelle zwischen den vergoldeten Holzelementen. Sie hatte eine leicht ovale Form.«Siehst du, mein Funke», sagte ich zu ihr,«da oben wird man bald ein Bild betrachten können. Sie werden einen Wettbewerb ausschreiben, um sich für einen Maler zu entscheiden, der diese Stelle ausfüllen soll.»«Und du wirst ihn gewinnen!», entfuhr es Marietta.«Der Wettbewerb wird nicht stattfinden», erwiderte ich.
Aus meiner Tasche holte ich eine in ein Hanflaken gewickelte Rolle hervor. Da war es, das Gemälde. Ja, man hatte mich informiert, das eine oder andere Ratsmitglied war mir durchaus bekannt, und sie hatten mir Gegenstand und Ausmaß des Bildes verraten. Ich hatte kaum mehr als eine Woche Zeit gehabt. Tag und Nacht hatte ich daran gearbeitet.«Spring auf», hielt ich Marietta an und kniete mich hin. Aufgeregt setzte sich Marietta auf meine Schultern.«Nun streck die Arme so aus, als wolltest du Gott ein Tablett anreichen.»Marietta gehorchte. Schila legte den schweren Karton auf ihre wackeligen Arme. Mit dieser Last auf den Schultern stieg ich vorsichtig die Leiter hinauf, die Schila zwar, so gut er konnte, festhielt, die aber dennoch gefährlich wackelte. Ich allein war nicht groß genug, ohne Marietta wäre ich nicht bis an die Decke gekommen.
Auf der letzten Sprosse befand ich mich fast fünf Doppelschritt vom Boden entfernt. Doch genau wie ich litt auch Marietta nicht an Höhenangst. Flink wie ein Eichhörnchen kletterte sie auf Gerüste, die bis an hohe Kirchengewölbe reichten, und über Stege, die bei jedem Schritt wankten. Da sie wusste, wie sehr es mich belastete, so klein
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