Tintorettos Engel
absenken müssen. Ob ich nicht von dem Vorfall unterrichtet worden sei? Der Saal für die Fresken sei aber auf jeden Fall fertiggestellt, sodass die Maler beginnen könnten. Ob uns sein gnädiger Herr für Anstreicher halte, die ihm seine Wände verputzen würden, fragte ich ihn mürrisch.«Zu Unrecht?», fragte er zurück.
Ich war verletzt und erzürnt, mit so wenig Achtung für meinen Beruf hier heraufgelockt worden zu sein. Zeitlebens war ich viel zu schnell gereizt. Vielleicht brauchte ich aber immer nur einen Vorwand, um meine schlechte Laune, die in mir gärte, an irgendwem auszulassen.«Sie ist traumhaft schön», seufzte Marietta und schaute andächtig auf den Giebel im Stil griechischer Tempel, der trotz Gerüst gut zu sehen war.«Eines Tages musst du dir auch eine solche Villa bauen.»«Sicher, mein Funke», erwiderte ich,«lass mir nur noch etwas Zeit.»Konnte ich sie enttäuschen? Konnte ich ihr gestehen, mir niemals ein derartiges Anwesen leisten zu können? Konnte ich zulassen, dass meine Tochter mich nicht als einen Sieger auf allen Feldern betrachtete, als ihren unschlagbaren Helden?
Kaum hatten wir die Villa betreten, merkte ich, dass überall Türen und Fenster fehlten. Ein kalter Wind pfiff durch sämtliche Flure. Die Feuchtigkeit staute sich zwischen den Räumen und klammerte sich haltsuchend an die Wände. Ein leeres Zimmer nach dem anderen mussten meine Gehilfen und ich durchqueren, bis wir endlich in den Festsaal kamen.«Der ist ja größer als der Campo dei Mori», rief Marietta regelrecht erschüttert. Mit Winkeldreieck und Rute maßen wir Wände und Fenster aus. Dann verglichen wir sie mit unserem Plan. Sie stimmten überein - mehr
oder weniger. Schließlich hielten wir die Kartons an die Wände. Sie verströmten eine angenehme Atmosphäre.«Vergrößere das Fries ein wenig», sagte ich zu Hans,«und stock den Hintergrund mit ein paar Bäumen auf. Wenn es nicht langt, kannst du auch noch die eine oder andere Figur hinzufügen. Lass sie dir aber zusätzlich bezahlen, unser Vertrag umfasst nur dreißig.»«Welche Figuren, Maestro?», fragte Hans ehrfürchtig.«Kannst du dir aussuchen», erwiderte ich kurz angebunden. Ich wollte mich nicht länger mit diesen Kartons beschäftigen. Ein unbehagliches Gefühl, das von Stunde zu Stunde stärker wurde, bedeutete mir, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
«Nun gut, meine Burschen», sagte ich daher zu Hans und Pieter,«achtet auf das, was ich euch beigebracht habe, und macht uns keine Schande. Viel Glück.»«Leb wohl, Gabriele», sagte Hans und drückte Mariettas Hand.«Ach was, ich nenn dich bei deinem richtigen Namen, leb wohl, Marietta.»«Warum leb wohl? Kehrt ihr nicht nach Venedig zurück, wenn ihr hier fertig seid?», fragte sie verwundert.«Wenn du im Atelier deines Meisters neben dem Kamin sitzt und zeichnest», antwortete Pieter ausweichend,«dann denk an uns, die wir den Winter hier oben verbringen, und danke Gott, dass du ein Mädchen bist und keine Fresken malen musst.»
Der Fuhrmann wollte jedoch nichts davon wissen, im Dunkeln wieder loszufahren. Ausgerechnet im benachbarten Landgut des Adelsherrn Soranzo hatte in der Nacht zuvor ein Überfall stattgefunden. Die Aufseher der Villa seien grausam niedergemetzelt worden. Silberwaren, Möbel, Waffen, einfach alles hätten die Räuber mitgenommen. Dank der schlechten Wetterbedingungen und der so gut wie nicht vorhandenen Sicht im Nebel sei es ihnen gelungen, sich aus dem Staub zu machen. Aber sie müssten noch irgendwo in der Nähe sein. Ich bat ihn, uns wenigstens ins Tal hinunterzubringen. Auf dem Weg nach Padua gab es ein Wirtshaus, wo wir übernachten konnten. Doch der Fuhrmann blieb eisern.
Zum Abendessen versammelten wir uns in der Hütte des Aufsehers. In der Küche waberte ein muffiger Geruch nach gärendem Lab und saurer Milch. Schmutzige Gänse und struppige Hühner liefen zwischen unseren Füßen herum, während wir eine Suppe aus Wirsing und Bohnen schlürften. Der Aufseher beschied uns, dass die Maler in den Baracken der Arbeiter schlafen könnten, Pieter und Hans aber wollten es sich lieber im warmen Stall gemütlich machen. In seinem Haus zwischen den Sanddünen an der Nordsee schlafe er häufig bei den Tieren, und abgesehen davon, dass sie schnarchen, wenn sie träumen, seien sie bessere Gefährten als die Menschen, meinte Hans.«Dann kann auch der … Bursche … im Stall schlafen», sagte der Aufseher und schaute Marietta prüfend an.«Seine Exzellenz
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