Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
für sie aufhielt. Mit dem letzten Blick sah sie, dass Jannik de Morvan sich Wein nachgoss und die rote Flüssigkeit in einem Ruck trank. Er wirkte wie ein Mann, der Gespenster gesehen hatte und um seine Fassung rang. Was hatte sie ihm getan?
»Womit habe ich ihn erzürnt?«, fragte sie Erwann hilflos.
»Mit eurer Ergebenheit!« Der Knappe zog eine Grimasse. »Er kann’s nicht leiden, wenn man ihm zu nahe kommt. Aber macht Euch nichts daraus. Morgen hat er es wieder vergessen. Er ist von heftigem Temperament, aber er trägt einem nichts nach.«
Tiphanie unterdrückte einen Seufzer. Sie hatte ihre Loyalität ohne großes Nachdenken an einen höchst komplizierten Herrn vergeben. Aber sie bereute es nicht. Da war etwas an Jannik de Morvan, das sie anzog wie eine arme kleine Stubenfliege das Licht der Kerze. Sie mochte sich die Flügel verbrennen, aber freiwillig würde sie diesem Feuer nicht mehr den Rücken zuwenden können.
Sie fand ihre Kammer leer. Rina hatte in den Stunden der Nacht anderes zu tun, als auf jemanden zu warten, der in dieser Zeit wenig Gewinn versprach. Tiphanie löste im Schein der Nachtkerze die Schlaufen ihrer Tunika und zog sie über den Kopf. Sie faltete das Kleidungsstück sorgsam und legte es auf die Truhe am Fußende ihres Bettes, ehe sie auch das Unterkleid auszog, die Strümpfe löste und schließlich mit bloßen Sohlen vor dem Alkoven stand.
Obwohl noch Glut in der Feuerstelle leuchtete, fand sie die Kammer plötzlich klamm und kalt. Die grob aneinander gefügten Mauern strahlten feuchte Frostigkeit ab, und durch den Spalt zwischen Fensterladen und Mauer zog spürbar ein eisiger Dezemberwind.
Trotzdem sank sie vor dem Bett auf die Knie, um der heiligen Anna und dem Himmel für die glückliche Wendung zu danken, die ihr Schicksal genommen hatte. Es fiel ihr nicht auf, dass sich ihr Gebet in erster Linie um Jannik de Morvan drehte. Sie wollte bei ihm bleiben und nie wieder von seiner Seite weichen.
4. Kapitel
Ihr meint, er wird angreifen?«
»So sicher wie in der Kirche das Amen nach jedem Gebet folgt«, brummte Jannik de Morvan und stemmte die Fäuste auf die Mauerbrüstung des Wachturmes. »Die Schlacht zwischen Paskal Cocherel und Jean de Montfort muss die Entscheidung bringen, wer über die Bretagne herrscht. Der Wolf von St. Cado hat sich zu weit vorgewagt. Wer Klöster brandschatzt und Dörfer überfällt, wird zur Rechenschaft gezogen!«
Sein Begleiter, ein massiger, rotgesichtiger Ritter, dessen muskulöse Figur vage an einen breiten Schrank erinnerte, ballte die Faust im eisenbesetzten Lederhandschuh. »Dann sagt Euer Gnaden, dass Auray bereit ist, für seinen rechtmäßigen Herzog zu kämpfen. Bis zum Frühjahr werden die Wehrgänge gedeckt sein und die Wälle wieder aufgerichtet. Wir werden siegen oder sterben!«
»Ich bin sicher, der Herzog zieht das erstere vor«, entgegnete der Ritter trocken und verengte die Augen, als er unterhalb seines Standplatzes, zwischen den Zinnen eine schmale Gestalt entdeckte, die von dort auf das Meer blickte. »Er will lediglich sichergehen, dass seine Städte gerüstet sind. Cocherel arbeitet mit den übelsten Methoden, und Ihr solltet äußerste Vorsicht walten lassen. Diese Gerüchte um das Kloster von Sainte Anne und das geheimnisvolle Kreuz von Ys machen Auray nach wie vor zu einem besonders heiklen Ort. Ich glaube nicht an diesen Unsinn, aber so, wie es aussieht, tut es der Wolf von St. Cado!«
Der Hauptmann folgte dem Blick seines Begleiters und beobachtete ebenfalls das Mädchen auf dem Wehrgang. »Habt Ihr Euch deswegen des Kindes angenommen, das den Überfall überlebt hat? Konnte die Kleine Euch Näheres über die Mysterien des Klosters sagen?«
»Sie weiß kaum mehr als ihren Namen«, entgegnete Morvan. »Und auch der ist nicht ihr richtiger. Sie wurde vor dem Kloster ausgesetzt und ist wohl eines der zahllosen Opfer, die dieser Konflikt in unserer Heimat gefordert hat. Ihr wisst keine mildtätige Dame in Auray, die sie in ihren Haushalt aufnehmen würde?«
»Ein bejammernswertes Geschöpf, das durch die Hände von Cocherels Soldateska gegangen ist? Ihr verlangt zu viel! Das vernünftigste wäre, sie einem anderen Kloster anzuvertrauen.«
»Sie konnte sich vor den Söldnern in Sicherheit bringen, wie sie mir erzählte ...«
»Aber wer wird das glauben? Kennt Ihr die frommen Bürgerinnen, die mit kritischen Augen über Zucht und Ordnung herrschen?«
Jannik de Morvan nickte, wenngleich dieses Nicken nicht der
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