Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Holzperlen.
»Und?«, erwiderte Rina. »Willst du dir diesen Henkersstrick deiner ehemaligen Berufung um den Hals hängen? Soll jeder wissen, dass du aus einem Kloster davongelaufen bist?«
»Ich bin nicht davongelaufen«, widersprach Tiphanie hartnäckig. »Ich wäre geblieben, aber die Söldner haben unser Kloster zerstört.«
»Sainte Anne?« Auch Rina hatte von dem schrecklichen Überfall gehört. »Ein Grund mehr, dass du es verheimlichst. Die Leute sagen, es spukt dort und bei Nacht hört man die Nonnen weinen. Niemand wagt sich mehr in die Nähe der verlassenen Ruinen.«
Erwann de Brace platzte in die Kammer. Er machte sich nicht die Mühe, für eine Dirne und eine zerzauste Magd höflich an der Tür zu kratzen, wie man es den Jünglingen bei Hofe beibrachte. Er nahm an, dass alle beide ohnehin keine Ahnung von höfischen Manieren hatten. Beim Anblick der liebreizenden blauen Fee, die ihm aus großen türkisfarbenen Augen erschrocken entgegen sah, bereute er indes sein Versäumnis sofort. Er meisterte seine Verblüffung und beugte das Knie.
»Demoiselle, ich soll Euch zu meinem Seigneur führen! Er erwartet Euch zum Mahl!«
Es entschied die Frage, ob Band oder Haube, auf der Stelle. Für keines von beiden blieb Zeit. Tiphanie schlang den kritisierten Rosenkranz unter der Tunika um den Gürtel, der das Seidengewand in der Taille raffte. Sie kümmerte sich keinen Deut darum, dass sie damit Rinas mühsam arrangierten Faltenwurf so durcheinander brachte, dass man das höfische Schuhwerk sah.
Erwann beobachtete sie unter seinen borstigen blonden Brauen hervor. Fassungslos von dem Wunder, das ein Bad, eine Nacht Schlaf und ein paar Kleider an Tiphanie vollbracht hatten.
»Gaff nicht so!«, ermahnte ihn Rina, die in Männergesichtern, gleich welchen Alters, lesen konnte. »Dieser Leckerbissen ist für deinen Seigneur reserviert und nicht für hungrige Knappen.«
»Da soll doch ...« Erwann lief knallrot an und richtete seine drahtige Jünglingsgestalt zu voller Größe auf. »Ich hab’s nicht nötig, von deinesgleichen gemaßregelt zu werden«, brummte er mit seiner tiefsten Stimme. »Mein Herr zählt zu den engsten Ratgebern Jean de Montforts, denkst du, ich würde ihm Schande machen?«
Dass ihm bei den letzten Worten die Stimme kippte, verlieh seiner Loyalitätserklärung eine kindliche Ernsthaftigkeit, die Tiphanie dazu veranlasste, seine Partei zu ergreifen. »Ich bin bereit!«, sagte sie sanft mitten in den beginnenden Streit.
Erwann öffnete die Tür für sie und gönnte Rina keinen Abschiedsgruß. Tiphanie folgte ihm schweigend durch die Gänge. Fackeln und Öllampen erleuchteten die Mischung aus Stadtfestung Wachturm und Kaserne. Als eines der wenigen Steingebäude, hatte es die Brandschatzung nach der Schlacht ohne größere Schäden überstanden. Das Gemach, in das Erwann das junge Mädchen führte, kam jenem wie das Kabinett eines Königs vor.
Die schweren Steinmauern wurden von bunten Wandbehängen verdeckt, und das Fenster in der tiefen Wandnische hatte sogar gläserne Rautenscheiben. Der Holztisch in der Mitte des Raumes bog sich unter dampfenden Schüsseln, Platten und Speisen, und im mächtigen Kamin brannte ein hell loderndes Feuer. Zwei Stühle mit hohen Lehnen und gepolsterten Sitzflächen standen für die Speisenden bereit, und der Seigneur studierte gerade den Inhalt einer kleinen, ziselierten Metalltruhe, deren Deckel er bei Tiphanies Auftauchen sofort zuklappte.
Es gelang ihm bei ihrem Anblick besser als seinem Knappen, jede Verblüffung zu verbergen. Das ernste Gesicht mit den schroffen Zügen wandte sich ihr in absoluter Beherrschung zu.
»Wie ich sehe, geht es dir besser«, stellte er lediglich fest und deutete auf den Stuhl, der mit dem Rücken zum Kamin stand. »Setz dich und iss. Wir müssen miteinander reden, nachdem sich herausgestellt hat, dass du sehr wohl der Sprache mächtig bist. Warum hast du es verborgen?«
»Ich bin es nicht gewohnt zu sprechen«, wisperte Tiphanie und spürte mit einem kleinen Schauer, wie wunderbar sanft es sich auf einem Stuhl saß, der sich wie ein weiches Kissen anfühlte.
Mit Ausnahme des flachen, gestickten Kissens, das Mutter Elissas privaten Betstuhl im Kloster geziert hatte, war ihr solcher Luxus noch nie begegnet. Wie seltsam, dass sie sich ausgerechnet in diesem Augenblick fragte, was wohl aus dem Kissen geworden war?
Erwann versah die Aufgaben des Mundschenks und goss Wein in den silbernen Becher, der neben Tiphanies Essbrett
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