Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
gefürchtet hatte. Dame Marthe ließ sich nicht gerne die Zügel aus der Hand nehmen. Sie lebte bereits zu lange ohne einen Ehemann, der ihre Belange vertrat und ihren gebieterischen Wünschen Einhalt gebot.
»Wenn ich mit Marron zum Vorwerk gehe, werdet Ihr tun, was der Seigneur befiehlt?«, versicherte sich der Knappe noch einmal.
Tiphanie beugte sich zu Marron hinab und vergrub ihr Gesicht in der dichten Wolle seines Halses. Es fiel ihr unendlich schwer, ihn davonzuschicken. Aber sie würde kein zweites Mal das Risiko eingehen, dass man ihn verletzte oder gar tötete. Sie hoffte inständig, dass Jannik ihn nicht für die Fehler seiner Herrin büßen ließ.
»Geh mit Erwann!«, wisperte sie an das abgeknickte Hundeohr. »Gehorche ihm, mein Freund! Und vergiss mich nicht völlig.«
»Höchstens für die paar Augenblicke, in denen er seine Lieblingsfeinde die Ratten jagt!«, grinste Erwann und machte eine schwungvolle Verneigung. »Zu Euren Diensten, edle Dame!«
»Spar dir das Zeremoniell.« Tiphanie winkte unwirsch ab. »Du weißt genau, dass ich es nicht mag. Ich bin keine edle Dame ...«
Erwann schüttelte den Kopf und legte mit einer ebenso schwungvollen wie rührenden Geste die Hand auf sein Herz. »Ihr seid die edelmütigste, schönste und liebenswerteste Dame unter dem Dach dieser Burg, und wenn einer das Gegenteil behauptet, dann fordere ich ihn in die Schranken! Wenn ich erst ein richtiger Ritter bin, werde ich nur Eure Farben tragen!«
Er lief knallrot an, verneigte sich hastig und zog den riesigen Hund aus der Kammer, ehe Tiphanie auf diese unverblümte Liebeserklärung antworten konnte. Gütige Mutter Gottes, sie hätte ihre Seligkeit dafür verkauft, wenn Jannik nur die Hälfte dieser schwärmerischen Zuneigung für sie empfunden hätte. Aber leider war Erwann nur ein halbwüchsiger, reizender Knappe und nicht der stolze Seigneur de Morvan, der statt eines fühlenden Herzens ein Eisenstück in der Brust trug.
Wenn er sich nach etwas richtete, dann höchstens nach seinem ritterlichen Ehrenkodex. Er befahl ihm, sie zur Gemahlin zu nehmen und zu beschützen, nachdem er ihr die Unschuld geraubt hatte. Natürlich traf es sich dabei ausgesprochen gut, dass sie sich als Erbin entpuppt hatte und diese edelmütige Anwandlung ihm zudem ein stattliches Vermögen einbrachte, das sogar Dame Marthes Begeisterung erregte. Aus einem armseligen Hänfling war eine gute Partie geworden. Die Liebe spielte bei diesem Geschäft keine Rolle. Alles, was Jannik de Morvan je an Gefühlen besessen hatte, war mit Anne-Marie zusammen gestorben. Jetzt lag ihm nur noch an der Befriedigung seines körperlichen Verlangens.
Tiphanie wusste nur zu gut um die Heftigkeit dieses Verlangens. Aber sie war nicht bereit, sich damit ein Leben an seiner Seite zu erkaufen. Auch wenn sie die Macht der Sinnlichkeit fürchten gelernt hatte, im Grunde ihres Herzens wollte sie nur eines: seine Liebe oder nichts. Da er keine Liebe zu geben hatte, musste sie sich wohl oder übel mit dem Nichts abfinden.
Sie griff nach ihrem Umhang und lief aus der Kammer. Sie verschwendete keinen Gedanken an Janniks Befehle oder eine mögliche Gefahr. Deswegen sah sie auch die Dienerin nicht, die sich hastig in eine Nische drückte, als sie so urplötzlich auf den Gang hinaus stürzte. Sie glaubte sich unbeobachtet, alle, die sie aufhalten konnten, befanden sich bei der Herzogin. Sogar Marron befand sich in der Sicherheit von Erwanns Gesellschaft. So sehr sie unter dem Abschied von ihm litt, es war nur ein Schmerz in dem größeren, den es bedeutete, Jannik de Morvan für immer zu verlieren.
An der großen Treppe in die Eingangshalle zögerte sie kurz, aber dann hob sie den Kopf und schritt in selbstverständlicher Anmut hinunter. Im täglichen Trubel der Höflinge, Bittsteller, Bediensteten, Garden, Handwerker und Boten fiel eine junge Frau im schlichten grünen Umhang kaum auf.
Ihr war übel vor Kummer und vor Angst. Die Einzelheiten verschwammen vor ihren Augen, aber je bedrückender diese Gefühle wurden, um so schneller lief sie. Sie hatte es so eilig, dass sie die letzte Stufe übersah und in die Arme eines Mannes stolperte, der am Fuße der Treppe stand und sich mit John Chandos unterhielt.
»Hoppla, kleine Dame!«, rief er gut gelaunt und fing sie in zwei kräftigen Armen auf. »Ihr werdet Euch den hübschen Hals brechen, wenn Ihr nicht besser aufpasst!«
Tiphanie strich sich die Kapuze zurück und sah in zwei funkelnde, dermaßen höllenschwarze
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