Tisch für drei
zeigt?
Sie drückt die Tür auf, sodass die Scharniere ein wenig quietschen. Jacob dreht den Kopf zur Seite und öffnet die Augen. Sie geht zu ihm und ist überzeugt davon, dass er sie in der Dunkelheit nicht erkennen kann, auch wenn die Vorhänge nicht zugezogen wurden und das nächtliche Neonlicht Londons durch das Fenster hereinfällt. Sein Kopf folgt jeder ihrer Bewegungen durch den Raum. Sie hält den Atem an und geht auf Zehenspitzen, auch wenn sie selbst nicht genau weiß, warum.
Er sagt nichts und fragt sie auch nicht, wer sie ist. Einen Moment lang steht sie vor ihm, und dann streckt sie eine Hand aus, streicht mit den Fingern sanft über seine Schulter und folgt der roten Spur, die darauf zu erkennen ist. Als er zusammenzuckt, nimmt sie die Hand weg und lässt sie kurz in der Kuhle über seinem Hintern liegen. Sie spürt den Schweiß, der seine Haut bedeckt, hört, wie flach er noch immer atmet. Dann bewegt sie die Hand zu seinen Handgelenken und löst die Fesseln. Seine Hände bleiben bewegungslos auf seinem Rücken liegen. Nun geht sie zu seinen Beinen und löst die Knoten mit ihren Fingernägeln, bis das Seil herunterfällt und er wieder frei ist.
Er bewegt sich noch immer nicht, und sie steht jetzt vor ihm und sieht auf ihn herab, bewundert das Muster, das das Seil auf seinen Beinen hinterlassen hat. Sie will etwas sagen, aber ihr fehlen die Worte. Sie weiß einfach nicht, was sie sagen soll. Stattdessen legt sie ohne darüber nachzudenken die Hände an die Lippen, um dann mit ihren Fingern die rosafarbenen Streifen auf seinen Schultern zu berühren. Er stöhnt tief und lang, als würde er den Kuss, den er unmöglich gesehen haben kann, in sich aufnehmen.
Wie die Dom geht auch sie schnell und ohne sich umzusehen. Sie kann ihre Anwesenheit in diesem Raum und dass sie sich in seinem Schrank versteckt hat nicht erklären, und sie kann nur hoffen, dass er ihr Gesicht nicht gut genug sehen konnte, um sie wiederzuerkennen, falls sie sich jemals erneut begegnen sollten.
Draußen kommt ihr die Welt fast schon surreal vor: All diese geschäftigen Menschen, die hin und her eilen, während die Zeit in der Suite stillzustehen schien. Als sie zur U-Bahn geht, fragt sie sich, was die Herrin wohl denken wird, wenn sie zurückkehrt und seine Fesseln gelöst sind. Was wird er ihr sagen? Oder lässt er sie gar nicht mehr ins Zimmer? Jetzt, da er frei ist, muss er das nicht mehr tun. Es sei denn … Es sei denn, er will noch mal von vorn anfangen. Sie spürt ein wenig Eifersucht, denn er scheint diese Frau zu wollen – oder zu brauchen.
Daheim kann sie nicht schlafen und muss immer nur an ihn denken. Obwohl sie ihn jetzt nackt gesehen hat, weiß sie immer noch nicht genau, wie er wirklich aussieht. Würde sie ihm auf der Straße begegnen, wäre er nur ein weiterer anonymer Fremder in dem Meer aus Fremden, das London für sie darstellt. Und doch haben sie etwas sehr Intensives zusammen erlebt. Es gab eine Verbindung zwischen ihnen, und in dieser Stadt mit ihren Millionen isolierter Seelen bedeutet das schon eine Menge.
Marta findet, dass sie der Arbeit nicht einfach fernbleiben kann, und so schlägt sie ihrem Vorgesetzten vor, sie in einem anderen Teil des Hotels einzusetzen, mit einer Kollegin zu tauschen, um mal etwas anderes zu sehen. Als ihr Vorgesetzter das Gesicht verzieht und erwidert, dass Kontinuität wichtig ist und man mit seinem Arbeitsbereich vertraut sein sollte, spürt Marta, dass sie rot wird – vor lauter Angst und Erregung. Ihr wird klar, dass es sie enttäuscht hätte, wenn ihr Chef ihrem Vorschlag zugestimmt hätte, und da er die Entscheidung trifft, kann sie jetzt leichter akzeptieren, was vor ihr liegt und es als Schicksal hinnehmen. Was immer auch passiert, es soll so sein.
Doch als sie zwei-, dreimal an die Tür der Suite klopft, um sicherzugehen, dass sich niemand darin aufhält, hämmert ihr Herz wie wild, und ihre Hände zittern, als sie die Schlüsselkarte durch das Schloss zieht, obwohl sie ja weiß, dass er nicht da ist. Sie geht hinein und beäugt nervös das Bett. Es ist wie immer ungemacht. Daneben steht auf dem gläsernen Nachttisch wie üblich die benutzte Kaffeetasse.
Sie geht hinüber zum Bett und sieht es an, als könne sie den Abdruck seines Körpers noch auf dem Laken erkennen. Als sie die Hand darauflegt, steigt sein Geruch wie Rauch zu ihr auf. Sie atmet ihn tief ein, woraufhin ihr ganz schummerig wird und sie sich setzen muss.
Eine Zeit lang bleibt Marta ganz still
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