Titan 02
sicher zusammenrollen konnte und alles hatte, was er brauchte.
Um den Genuß so lange wie möglich hinauszuzögern, suchte er im Haus noch eine Weile in der Tonbandsammlung herum. Er würde sich bis zum Abendessen in den Bunker setzen und Win d i n th e Willow s anhören. Seine Eltern wußten, wo sie ihn finden konnten; er war immer dort unten. Zwei Stunden ungestörter Glückseligkeit, die ganz allein ihm gehörten. Und wenn das Nachtmahl vorbei war, würde er wieder hinuntergehen und bis zur Schlafenszeit bleiben. Manchmal stand er auch mitten in der Nacht auf, wenn seine Eltern fest schliefen, und schlich sich leise hinaus zum Schacht, verschwand in der schweigenden Tiefe, blieb bis zum Morgen.
Er fand das Tonband, das er suchte, und eilte durch das Haus zurück in den Hof. Der Himmel war düsteres Grau, gestreift mit häßlichen, schwarzen Wolkenfetzen. Da und dort gingen die Lichter in den Häusern an. Der Hof wirkte kalt und feindlich. Zögernd ging er die Stufen hinunter - und erstarrte.
Ein gewaltiges, gähnendes Loch tat sich vor ihm auf, ein bedrohlicher Rachen, leer, schwarz, gegen den Abendhimmel aufgesperrt. Der Bunker war weg!
Endlos stand er so, das Tonband in der einen Hand, mit der anderen das Stiegengeländer umklammernd. Es wurde Nacht; das Loch verfloß mit der Dunkelheit. Die ganze Welt brach nach und nach in Schweigen und Finsternis zusammen. Matt kamen ein paar Sterne hervor; in den Nachbarhäusern wurde Licht gemacht, doch die hellen Fenster waren fern und abweisend. Der Junge sah nichts von allem. Er stand unbewegt, wie versteinert, am Rand der großen Grube, in der der Bunker gewesen war.
Dann stand sein Vater neben ihm. »Wie lang bist du schon hier?« hörte er seinen Vater sagen. »Wie lange, Mike? Antworte mir!«
Mühsam riß sich Mike aus seiner Betäubung. »Ihr seid früh zurück«, murmelte er.
»Ich bin absichtlich früh aus dem Geschäft weggegangen. Ich wollte hier sein, wenn du - heimkommst.«
»Er ist weg.«
»Ja.« In der Stimme seines Vaters lag keinerlei Emotion. »Der Bunker ist fort. Es tut mir leid, Mike. Ich hab’ angerufen und sie ihn wieder abholen lassen.«
»Warum?«
»Ich konnte nicht mehr zahlen. Nicht über diese Weihnachten, wo alle nur solche Gitter kaufen. Ich kann damit nicht konkurrieren.« Er brach ab, fuhr dann bedrückt fort: »Sie waren verdammt anständig. Haben mir die Hälfte der Summe zurückgegeben, die ich bereits gezahlt hatte.« Seine Stimme bekam eine ironische Färbung. »Ich wußte, wenn ich die Sache vor Weihnachten mit ihnen abmachte, würde ich billiger davonkommen. Noch können sie das Ding jemand anderem andrehen.«
Mike sagte nichts.!
»Versuch doch, es zu verstehen«, sagte sein Vater schroff. »Ich mußte einfach alles Kapital, das ich zusammenkratzen konnte, jetzt ins Geschäft stecken, sonst wären wir pleite gegangen. Wir mußten entweder auf den Bunker oder auf das Geschäft verzichten. Und wenn ich das Geschäft aufgegeben hätte…«
»Dann hätten wir gar nichts mehr.«
Sein Vater packte ihn am Arm. »Dann hätten wir den Bunker ebenfalls aufgeben müssen.« Seine dünnen, kräftigen Finger krampften sich um den Arm des Jungen. »Du bist doch schon ein großer Junge - alt genug, um das zu verstehen. Wir werden später wieder einen anschaffen, vielleicht nicht den größten, teuersten, aber irgendeinen. Das ganze war eine Dummheit, Mike. Ich hab’ mich übernommen, vor allem, weil diese gottverdammten Zusatzgitter mir das Weihnachtsgeschäft wegnahmen. Aber ich werde die NATS-Zahlungen nicht aufgeben, und natürlich auch nicht deine Schulbunkerkarte. Das werde ich alles weiter bezahlen. Es ist mir nicht ums Prinzip gegangen«, schloß er verzweifelt. »Ich konnte nicht anders. Verstehst du, Mike? Ich mußte es tun. «
Mike riß sich los.
»Wohin willst du?« Sein Vater hetzte ihm nach. »Komm zurück!« Er griff erschrocken nach seinem Sohn, aber in der Dunkelheit stolperte er und fiel hin. Grelle Funken zuckten vor seinen Augen auf, als er mit dem Kopf gegen die Hauskante fiel; halb betäubt raffte er sich auf und tastete nach irgendeinem Halt.
Als er wieder etwas sehen konnte, war der Hof leer. Sein Sohn war fort.
»Mike!« schrie er. »Wo bist du?«
Er bekam keine Antwort. Der Nachtwind fegte ihm dünne Schwaden Schnee ins Gesicht, kalt und schneidend. Es gab nichts mehr außer Wind und Dunkelheit.
Bill O’Neill blickte müde auf die Wanduhr. Es war halb zehn: er konnte endlich die Türen abschließen und
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