Titan 10
sie alle erfassen zu können. Er schlief kaum mehr und vergaß zu essen, bis sein Speichel sauer wurde und der wühlende Schmerz in seinem Leib ihn dazu zwang, seinem Körper etwas mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Nachdem der Hunger gestillt war, wandte er sich wieder den Büchern zu und las erneut, bis die Augen sich weigerten, noch etwas zu erkennen.
Joe‐Jims Wünsche nach Bedienung waren erträglich. Obwohl Hugh immer einsatzbereit sein mußte, kümmerte sich Joe‐Jim solange nicht darum, ob er las oder nicht, wie er in Hörweite und bereit war, sofort zu kommen, wenn er gerufen hatte. Meistens mußte er mit einem der beiden Köpfe Dame spielen, wenn der andere schlafen wollte oder keine Lust dazu hatte, und auch diese Zeit ließ sich gewinnbringend verwenden, denn wenn er mit Joe spielte, diskutierten sie dabei fast immer über Das Schiff und seine Geschichte, über die Maschinen und die Ausrüstung, über die Menschen, die es gebaut und zuerst bemannt hatten, und über deren Geschichte, damals auf der Erde, der unglaublichen Erde, jenem seltsamen Ort, wo die Menschen draußen gelebt hatten und nicht drinnen.
Hugh fragte sich, warum sie nicht heruntergefallen waren.
Er stellte Joe diese Frage und erfuhr so etwas über die Schwerkraftgesetze. Gefühlsmäßig verstand er sie nie – sie waren zu unwahrscheinlich – aber als intellektuelles Konzept konnte er sie akzeptieren und benutzen, viel später, als er begann, in die Grundlagen der Gesetze der Ballistik und Astrogation einzudringen. Auch las er darüber, wie ein Raumschiff zu steuern sei. All diese Lektüre führte dazu, daß er sich schließlich überlegte, wie es wohl mit den Schwerkraftverhältnissen an Bord Des Schiffes bestellt sei, eine Frage, die ihm nie zuvor gekommen war. Die Aussage ›je tiefer die Ebene, desto größer das Gewicht‹ hatte er bislang immer für ein einfaches Naturgesetz gehalten, über das er nie zuvor Überlegungen angestellt hätte. Soweit nur Schleudern betroffen waren, war er mit der Zentrifugalkraft vertraut. Der Gedanke, daß Das Schiff nichts anderes war als eine gigantische Schleuder, die ständig um die eigene Achse wirbelte und dabei Schwerkraft erzeugte, war zu abstrus – er glaubte niemals daran.
Joe‐Jim nahm ihn wieder einmal mit zum Kontrollraum und zeigte ihm das Wenige, das er selbst von der Bedienung der Instrumente und dem Ablesen der Skalen wußte.
Die schon längst vergessenen Ingenieure der Jordan‐Foundation hatten ein Raumschiff konstruiert, das sich nicht abnutzen sollte – und das mit Erfolg, auch wenn die Reise lange über die geplanten sechzig Jahre hinausgegangen war. Ihr Werk hatte selbst ihre kühnsten Träume übertroffen. Bei der Planung der Hauptantriebe, des automatischen Maschinenparks, der Das Schiff bewohnbar hielt, und bei den Kontrollen für die Maschinenteile, die nicht vollautomatisch konstruiert waren, hatte man auf bewegliche Teile verzichtet. Sämtliche Maschinen arbeiteten nicht auf den Grundlagen der Mechanik, sondern auf denen der reinen Energie, genau wie elektrische Transformer. Man mußte also keine Knöpfe oder Schalter mehr betätigen, sondern nur die Balance zwischen statischen Feldern ändern, Stromflüsse beschleunigen, Schaltkreise unterbrechen oder schließen, indem man mit der Hand über ein Licht fuhr.
Auf dieser Basis stellten Brüche oder Rost keine Gefährdung mehr da. Wären während der Rebellion alle Menschen getötet worden, wäre Das Schiff dennoch auf seiner Bahn durchs All weitergezogen, hellerleuchtet, mit frischer, warmer Luft und intakten, wartenden Maschinen ausgestattet. Auch wenn die Fahrstühle und Transportbänder beschädigt und unbrauchbar wurden und schließlich dem Vergessen anheimfielen, versorgten die wesentlichen Schiffseinrichtungen die unwissende menschliche Fracht immer noch mit ihren vollautomatisierten Diensten und warteten still und leise auf jemanden, der intelligent genug war, die Geheimnisse Des Schiffes zu entschlüsseln.
Genies hatten Das Schiff erbaut. Viel zu groß, um auf der Erde erbaut zu werden, hatte man es in einer Kreisbahn um den Mond Stück für Stück zusammengesetzt. Dort kreiste es fünfzehn Jahre lang, während man seine Funktionen immer und immer wieder überprüfte, bis sie schließlich narrensicher waren. Für den Bau hatte man eine neue Technologie entwickelt, die sich die submolekulare Verschmelzung nutzbar machte.
Und so kam es auch, daß, als die ungeschulte, suchende Hand Hugh Hoylands über
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