Titan 11
einzige, der wirklich weiß, was mit dir nicht stimmt, bist du selbst; keiner außer dir kann eine Heilung ermöglichen, und keiner außer dir weiß, wieso gerade dieser Weg zur Heilung führt. Und hast du ihn erst einmal gefunden, kann keiner außer dir damit etwas anfangen.«
»Und weshalb sind Sie hier?«
»Um zuzuhören.«
»Ich brauche nicht jemandem jede Stunde einen ganzen Tageslohn zu zahlen, nur damit er zuhört.« »Das stimmt. Aber du bist überzeugt, daß ich selektiv zuhöre.« »Bin ich das?« Ich wußte es selbst nicht. »Na, ich glaube schon.
Glauben Sie es auch?« »Nein, aber das wiederum wirst du mir niemals glauben.« Ich lachte. Er fragte mich, weshalb, und ich sagte: »Sie sagen nicht mehr mein Sohn zu mir.«
»Zu dir doch nicht.« Er schüttelte langsam den Kopf. Währenddessen beobachtete er mich weiter, so daß seine Augen in Gegenrichtung zur Kopfbewegung in den Höhlen schwangen. »Was willst du also über dich wissen, und wovor hast du Angst, daß ich es den Leuten erzählen könnte?«
»Ich möchte, daß Sie herausfinden, weshalb ich einen Menschen getötet habe«, sagte ich gradeheraus. Er war kein bißchen geschockt. »Leg dich dort hin.« Ich erhob mich. »Auf die Couch?« Er nickte. Während ich mich selbstbewußt ausstreckte, sagte ich: »Ich fühle mich wie eine Person aus einem Comic‐Strip.« »Was für ein Comic‐Strip?« »Die Menschen darin sehen aus wie Weintraubenstauden«, sagte ich und schaute die Decke dabei an. Sie war hellgrau. »Und wie lautet seine Überschrift?«
»Ich habe Koffer voll davon.«
»Sehr gut«, sagte er leise.
Ich beäugte ihn aufmerksam. Ich wußte, daß er zu der Sorte Menschen gehörte, die nur tief im Innern lachen, wenn sie überhaupt einmal lachen.
»Manchmal schreibe ich so etwas in einem Buch über meine Patienten auf«, sagte er. »Aber bei dir nicht. Wie bist du überhaupt darauf gekommen?« Als ich nicht antwortete, stand er auf und setzte sich auf einen Stuhl hinter mir, wo ich ihn nicht sehen konnte. »Du kannst damit aufhören, mich zu prüfen, mein Sohn. Ich bin gut genug für deine Zwecke.«
Ich biß so hart auf die Zähne, daß ein Backenzahn zu schmerzen begann. Dann entspannte ich mich. Ich entspannte mich völlig, und es war wundervoll. »In Ordnung«, sagte ich, »es tut mir leid.« Er antwortete nicht, aber ich hatte wieder das Gefühl, daß er lachte.
Aber nicht über mich.
»Wie alt bist du?« fragte er mich plötzlich.
»Äh, fünfzehn.«
»Äh, fünfzehn«, wiederholte er. »Was bedeutet das ›äh‹?«
»Nichts. Ich bin fünfzehn.«
»Als ich dich nach deinem Alter fragte, hast du gezögert, weil du eine andere Zahl im Gedächtnis hattest. Du hast diese aber verworfen und dafür ›fünfzehn‹ eingesetzt.«
»Gar nichts habe ich! Ich bin fünfzehn!«
»Ich habe nicht gesagt, daß du das nicht bist.« Seine Stimme klang immer noch geduldig. »Also, was war das für eine Zahl?«
Ich wurde wieder bös. »Es gibt keine andere Zahl! Was wollen Sie eigentlich? Solange die Wahrheit verdrehen, bis Sie etwas so lange gedreht haben, wie Sie meinen, so müßte es sein?« Er schwieg. »Ich bin fünfzehn«, sagte ich trotzig und fügte hinzu: »Ich will nicht erst fünfzehn sein. Das wissen Sie ja. Ich bestehe nicht darauf, daß ich fünfzehn bin.« Er wartete nur und sagte immer noch nichts. Ich fühlte mich geschlagen. »Die Zahl war acht.« »Also bist du acht. Und dein Name?«
»Gerry.« Ich richtete mich auf einem Ellbogen auf und drehte den Kopf, bis ich ihn sehen konnte. Er hatte seine Pfeife auseinandergenommen und blickte gegen das Licht der Schreibtischlampe durch das Mundstück. »Gerry, ohne ein ›äh‹!«
»Schon in Ordnung«, sagte er milde, und ich kam mir richtig dumm vor. Ich lehnte mich zurück und schloß die Augen. Acht, dachte ich. Acht. »Es ist kalt hier«, beschwerte ich mich.
Acht Jahre alt, naß, kalt, Haß. Ich aß vom Teller des Staates und ich haßte. Ich mochte diese Gedanken nicht und riß die Augen auf. Die Decke war immer noch grau. Es war alles in Ordnung. Hinter mir war Stern mit seiner Pfeife, und auch er war in Ordnung. Ich nahm zwei, drei tiefe Atemzüge und ließ meine Augen dann zufallen. Acht. Acht Jahre alt. Acht und Haß, Jahre und Furcht, alt und kalt. Verdammt ! Ich wand mich auf der Couch und zitterte und versuchte, die Kälte nicht in mich hineinzulassen. Ich aß vom Teller des…
Ich grunzte, und mit meinem Verstand ließ ich all die Achten und all die Reime und
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