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Titan 11

Titan 11

Titel: Titan 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
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alles, wofür sie standen, dunkel werden. Aber es würde nicht dunkel bleiben. Ich mußte irgend etwas dorthin stellen, also dachte ich mir eine große, leuchtende Acht und ließ sie einfach dort hängen. Aber sie begann, sich zu drehen und aus ihren Löchern kam ein Schimmern. Das war wie in einem dieser Filme, die man durch ein Fernglas gedreht hatte. Ich mußte einfach durch die Löcher blicken, egal ob ich das wollte oder nicht. Das Fernglas kam immer näher, und dann hatte es mich erreicht.
    Acht. Acht Jahre alt und kalt. Kalt wie ein Köter in der Gosse. Die Gosse war neben einem Bahndamm. Das Unkraut des letzten Jahres war ein kratziges Strohlager. Die Erde war rot, und wenn sie nicht schlüpfriger, klebriger Schlamm war, war sie gefroren und hart wie ein Blumentopf. So war sie jetzt, überstäubt mit Rauhreif, kalt wie die Wintersonne über den Hügeln. Des Nachts waren die Lichter warm, und sie waren alle in den Häusern anderer Leute. Tagsüber war auch die Sonne in dem Haus irgendeines anderen und tat mir nichts Gutes.
    In diesem Graben lag ich im Sterben. Letzte Nacht war er zum Schlafen genauso gut gewesen wie jeder andere Ort, und heute morgen war er zum Sterben genauso gut wie jeder andere. Ganz genausogut. Acht Jahre alt, der widerlich süße Geschmack von Schweinefett und nassem Brot aus irgendeiner Mülltonne, der Schreck, der einen durchzuckt, wenn man einen Sack stiehlt und plötzlich Schritte vernimmt.
    Und ich hörte Schritte. Ich hatte zusammengerollt auf der Seite gelegen. Ich rollte mich auf den Bauch, denn manchmal treten sie einen in den Magen. Ich bedeckte meinen Kopf mit den Armen, und das war alles, was ich tun konnte.
    Nach einer Weile öffnete ich die Augen, ohne mich dabei zu bewegen. Ich sah einen großen Schuh. Ein Knöchel steckte in dem Schuh, und daneben war noch einer. Ich lag da und wartete darauf, getreten zu werden. Nicht, daß es mir viel ausmachte, aber es war so verdammt beschämend. All diese Monate war ich allein gewesen, und sie hatten mich nie erwischt, waren nicht einmal in meine Nähe gekommen, und nun das. Ich schämte mich so sehr, daß ich zu weinen begann.
    Der Schuh schob sich unter meine Schulter, aber es war kein Tritt. Er wälzte mich herum. Ich war vor Kälte so steif, daß ich wie ein Brett herumfiel. Ich hielt einfach die Arme vor Gesicht und Kopf und lag mit geschlossenen Augen da. Aus irgendeinem Grund hörte ich zu weinen auf. Ich glaube, Menschen weinen nur, wenn es eine Chance gibt, von irgendwoher Hilfe zu erhalten.
    Als nichts geschah, öffnete ich die Augen und schob die Unterarme gerade so weit weg, daß ich hochschauen konnte. Über mir stand ein Mann, und er war tausend Meter groß. Er hatte eine verblichene Tuchhose an und eine alte Militärjacke mit großen Schwitzflecken unter den Armen. Sein Gesicht sah zottig aus, wie das eines Halbwüchsigen, der nicht imstande war, sich einen Bart wachsen zu lassen und sich trotzdem nicht rasierte.
    »Steh auf«, sagte er.
    Ich starrte auf seinen Schuh, aber er wollte mich nicht treten. Ich drückte mich ein wenig in die Höhe und wäre fast sofort wieder zurückgefallen, wenn er mich nicht mit seiner mächtigen Pranke am Rücken gehalten hätte. Ich lag eine Sekunde lang dagegengelehnt, weil ich nicht anders konnte, und war dann wenigstens in der Lage, auf die Knie zu kommen.
    »Komm schon«, sagte er. »Gehen wir.«
    Ich schwöre, daß ich meine Knochen knacken hörte, aber ich schaffte es. Als ich aufstand, faßte ich einen runden weißen Stein. Ich hob den Stein hoch und mußte nachsehen, ob ich ihn wirklich gepackt hielt, so kalt waren meine Finger. »Hau ab«, sagte ich zu dem Mann, »oder ich schlage dir mit dem Stein die Zähne ein.«
    Seine Hand war so schnell unten, daß ich gar nicht mitbekommen habe, wie er einen Finger zwischen den Stein und meine Hand zwängte und ihn dann meinem Griff entwand. Ich beschimpfte ihn, aber er drehte mir nur den Rücken zu und stieg den Bahndamm zu den Schienen hoch. Dann schaute er über die Schulter und sagte: »Kommst du jetzt mit?«
    Er hat mich nicht gejagt, also bin ich nicht fortgelaufen. Er hat nicht mit mir geredet, also habe ich mich nicht mit ihm gestritten. Er hat mich nicht geschlagen, also wurde ich auch nicht böse. Ich ging ihm nach. Er wartete auf mich, streckte mir die Hand entgegen, und ich spuckte sie an. Also ging er weiter und wartete oben auf mich, auf den Schienen, wo ich ihn nicht sehen konnte. Ich kroch den Bahndamm hinauf. Blut floß

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