Titan 11
wieder durch die Hände und Füße, und sie fühlten sich an, als hätte ich gerade erst versucht, ein Stachelschwein zu streicheln. Als ich oben ankam, stand der Mann immer noch da und wartete auf mich.
Der Schotter verlief eben, aber als ich nach vorne sah, schien er wie ein Berg zu sein, der immer steiler wird und schließlich ganz über einem zusammenkippt. Das nächste, woran ich mich erinnern konnte, war, daß ich flach auf dem Rücken lag und in den kalten Himmel starrte.
Der Mann kam zu mir und setzte sich auf die Schiene. Er versuchte nicht, mich anzufassen. Ich schnappte ein paar Mal nach Luft und fühlte plötzlich, daß ich wieder in Ordnung kommen würde, wenn ich nur eine Minute lang schlafen könnte. Nur eine winzige Minute lang. Ich schloß die Augen. Der Mann stieß mir seine Finger in die Rippen, und es tat weh.
»Du darfst nicht schlafen«, sagte er.
Ich sah ihn an.
»Du bist steifgefroren und schwach vor Hunger«, sagte er. »Ich will dich mit mir nach Hause nehmen, dort kannst du dich aufwärmen und etwas essen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg, und allein wirst du es wohl kaum schaffen. Wenn ich dich trage – wird das das Gleiche für dich sein, als wenn du allein gegangen wärst?«
»Was willst du mit mir machen, wenn wir zu Hause sind?«
»Das habe ich doch gerade gesagt.«
»In Ordnung«, willigte ich ein.
Er hob mich hoch und trug mich die Schienen entlang. Hätte er irgendein gottverdammtes anderes Wort gesagt, wäre ich dort liegen geblieben, bis ich erfroren wäre. Außerdem, was hätte er von mir verlangen können? Ich konnte für ihn nicht arbeiten.
Ich dachte nicht mehr daran und döste ein.
Einmal wachte ich auf, als er den Bahndamm verließ und in den Wald vordrang. Obwohl es keinen Pfad gab, schien er genau zu wissen, wo er hinging. Das nächste Mal wachte ich von einem knackenden Geräusch auf. Er trug mich quer über einen gefrorenen Teich, und das Eis gab unter seinen Füßen nach. Trotzdem beeilte er sich kein bißchen. Ich schaute nach unten und sah die weißen Risse, die sich strahlenförmig von seinen Füßen ausweiteten, und es schien überhaupt nicht wichtig zu sein. Ich schlief wieder ein.
Schließlich setzte er mich ab. Wir waren da. ›Da‹ war irgendwo im Innern eines Zimmers. Es war sehr warm. Er stellte mich auf die Füße, und ich rappelte mich schnell auf. Zuerst suchte ich die Tür. Ich sah sie und rannte zu ihr und stellte mich mit dem Rücken an die Wand neben ihr, für den Fall, daß ich abhauen wollte. Dann schaute ich mich um.
Das Zimmer war groß. Eine Wand bestand aus rohem Fels, und die anderen aus Stämmen mit verschmierten Ritzen. Vor der Felswand brannte ein großes Feuer, kein Kamin, eher so etwas wie ein Lagerfeuer. Auf einem Regal an der anderen Seite stand eine alte Autobatterie, die mit Drähten mit zwei gelben Glühbirnen verbunden war. Es gab einen Tisch, einige Truhen und ein paar dreibeinige Stühle. In der Luft hing der Geruch des Holzfeuers und der so wunderbare, herzerwärmende Duft von Süßigkeiten und Brezeln, daß mir sofort das Wasser im Munde zusammenlief.
»Was habe ich denn hier, Baby?« sagte er Mann.
Und der Raum war voller Kinder. Nun, es waren drei, aber irgendwie schienen es mehr zu sein. Da war ein Mädchen in meinem Alter – acht, meine ich – mit blauer Farbe auf den Wangen. Sie hatte eine Staffelei und eine Palette mit vielen Farben und eine Handvoll Pinsel, aber die benutzte sie nicht. Sie schmierte die Farbe einfach mit ihren Händen auf. Dann war da ein kleines Negermädchen von vielleicht fünf Jahren mit großen Augen, das mich unablässig anstarrte. Und in einer hölzernen Wiege, die auf zwei Sägeböcken stand, damit man sie schaukeln konnte, lag ein Baby. Ich glaube, es war etwa drei oder vier Monate alt. Es tat, was Babys nun einmal tun, sabberte, spuckte, wedelte ziellos mit den Händen und strampelte.
Als der Mann sprach, schaute das Mädchen an der Staffelei zuerst mich und dann das Baby an. Das Baby strampelte und sabberte weiter.
»Sein Name ist Gerry«, sagte das Mädchen. »Er ist böse.«
»Worauf ist er böse?« fragte der Mann und schaute zum Baby.
»Auf alles«, sagte das Mädchen. »Auf alles und jeden.«
»Woher kommt er?«
»He, was ist das?« sagte ich, aber niemand schenkte mir Beachtung. Der Mann fuhr fort, Fragen an das Baby zu stellen, und das Mädchen beantwortete sie. Das war das Verrückteste, was ich je gesehen habe.
»Er ist aus dem Erziehungsheim
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