Titan 14
hatte.
Morey glühte förmlich vor innerer Rechtschaffenheit, als er Cherry seinen Abschiedskuß gab (sie war schließlich befriedigt und verwirrt über die neuen Zustände aufgestanden) und zu seinem Wagen gegangen war. Den kleinen Mann in dem riesigen Schlapphut und den Rüschenhosen, der fast im Gebüsch verborgen stand, hatte er dabei kaum bemerkt.
»He, Mac.« Die Stimme des Mannes war nicht viel mehr als ein heiseres Flüstern.
»Mhm? Oh – was ist denn?«
Der Mann sah sich verstohlen um. »Hören Sie, Freund«, sagte er dann hastig, »Sie sehen aus wie ein intelligenter Mann, der etwas Hilfe gebrauchen könnte. Die Zeiten sind hart; wenn Sie mir helfen, helfe ich Ihnen auch. Was halten Sie von einem kleinen Handel mit Rationsmarken? Sechs für eine. Eine von den Ihren für sechs von den meinen; einen besseren Handel kriegen Sie in der ganzen Stadt nicht. Meine Marken sind natürlich nicht ganz echt, aber das merkt keiner, Freund, keiner…«
Morey fuhr zurück. »Nein!« sagte er heftig und stieß den Mann weg. Jetzt auch das noch, dachte er verbittert. Nicht genug, daß er mit Cherry in einen Slum hatte ziehen müssen und ihr den dauernden Ärger mit den Rationen zumuten mußte; jetzt trieben sich in der Gegend sogar noch Leute herum, die es mit den Gesetzen nicht so genau nahmen. Es war nicht das erste Mal, daß ihn ein Rationsmarkenfälscher angesprochen hätte, aber bisher war das immerhin wenigstens nicht vor seiner eigenen Haustür geschehen!
Als Morey in seinen Wagen stieg, dachte er einen Augenblick lang daran, die Polizei zu rufen. Aber der Mann würde natürlich verschwunden sein, bis sie kam; und außerdem war er ja eigentlich ganz gut zurechtgekommen.
Natürlich wäre es nett gewesen, sechs Marken für eine zu bekommen.
Nicht so nett freilich, wenn man ihn dabei ertappte.
»Guten Morgen, Mr. Fry«, tirilierte die Robot-Sprechstundenhilfe. »Gehen Sie doch bitte gleich hinein.« Mit stählernem Finger wies die Maschine auf die Tür mit der Aufschrift GRUPPENTHERAPIE.
Eines Tages, gelobte sich Morey während er dem Roboter zunickte und der Aufforderung nachkam, eines Tages würde er sich einen persönlichen Analytiker leisten können. Gruppentherapie half den unendlichen Streß des modernen Lebens zu erleichtern. Wenn es ihn nicht gäbe, würde es ihm vielleicht ebenso schlecht ergehen wie den hysterischen Mobs auf den Straßen mit ihren ewigen Rationskrawallen, oder er würde gar zum Asozialen werden, wie die Fälscher. Aber das ganze war schrecklich unpersönlich. Damit wurde eine Privatangelegenheit in die Öffentlichkeit gezerrt, genauso, als versuchte man, ein glückliches Eheleben vor einer sich dauernd einmischenden Roboterschar zu führen.
Morey zuckte zusammen. Wie hatte sich jetzt dieser Gedanke einschleichen können? Er war sichtlich erschüttert, als er den Saal betrat und die Gruppe begrüßte, der man ihn zugeteilt hatte.
Insgesamt waren es elf Leute: vier Freudianer, zwei Reichianer, zwei Jungianer, ein Gestaltpsychologe, ein Schocktherapeutiker und ein älterer, ziemlich ruhiger Sullivanier. Selbst Angehörige von Mehrheitsgruppen hatten ihre ganz individuellen Unterschiede in Technik und Glauben, aber Morey hatte es bis jetzt und trotz vier Jahren, die er mit dieser Gruppe von Analytikern verbrachte, immer noch nicht ganz geschafft, sie voneinander zu unterscheiden. Ihre Namen freilich kannte er ganz gut.
»Guten Morgen, meine Herren Doktoren«, sagte er. »Was wird denn heute?«
»Morgen«, sagte Semmelweiss mürrisch. »Heute sind Sie zum erstenmal ins Zimmer gekommen und sehen aus, als würde Sie wirklich etwas plagen, und doch steht heute Psychodrama auf dem Plan. Dr. Fairless«, bat er, »können wir den Plan nicht ein wenig ändern? Fry steht ganz offensichtlich unter Streß; das wäre der richtige Augenblick, etwas nachzubohren, um zu sehen, was er findet. Wir könnten Ihr Psychodrama doch das nächste Mal auf den Plan setzen, oder?«
Fairless schüttelte seinen würdigen kahlen Schädel. »Tut mir leid, wenn es nach mir ginge, aber Sie kennen ja die Vorschriften.«
»Vorschriften, immer Vorschriften«, ereiferte sich Semmelweiss. »Aber was hat es schon für einen Sinn? Hier steht ein Patient im Zustand akuter Angst, oder ich habe noch nie einen gesehen – und Sie können mir glauben, daß ich schon eine ganze Menge gesehen habe –, und wir ignorieren das einfach, weil die Vorschriften verlangen, daßwir es ignorieren. Und das soll sich mit unserer
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