Titan 15
verantwortlich erklärt für alle Fehlhandlungen, die es begehen sollte, wobei Rechenschaft vor der nächsten Vollversammlung abgelegt werden soll, nicht jedoch vor irgendeiner anderen Stelle außerhalb der geschlossenen, geheimen Reihen der Checker.«
Selbstherrlich, im sicheren Gefühl des Triumphs, nahm Vomact diesmal die Abstimmungs-Haltung ein.
Nur wenige Gürtellampen leuchteten auf: offensichtlich weit weniger als eine Ein-Viertel-Minderheit.
Von neuem ergriff Vomact das Wort. Das Licht spiegelte sich auf seiner hohen ruhigen Stirn, auf seinen toten, entspannten Backenknochen. Seine hageren Backen und das knochige Kinn lagen halb im Schatten, nur der Mund, grausam selbst in Ruhestellung, geriet immer wieder in den Lichtkegel. (Es ging das Gerücht, Vomact sei ein entfernter Nachfahre einer Dame aus der Alten Zeit, die auf unerklärliche und ungesetzliche Weise Hunderte von Zeitjahren in einer einzigen Nacht durchquert haben sollte. Ihr Name, Lady Vomact, war zur Legende geworden; doch ihr Blut und ihr archaischer Ehrgeiz lebten fort in dem stummen, gebieterischen Körper ihres Nachkommen. Indem er so auf die Bühne starrte, glaubte Martel auf einmal beinahe an die alten Geschichten und fragte sich, welche verborgene Mutation wohl die Familie der Vomacts als Raubritter in der Menschheit fortbestehen lassen hatte.) Mit lauter Lippensprache, doch noch immer unhörbar, rief Vomact jetzt:
»Das Ehrenwerte Komitee möchte nun bitte das über den Ketzer und Feind Adam Stone ausgesprochene Urteil bestätigen.« Wieder die Abstimmungshaltung.
Und wieder leuchtete Changs Lampe allein in einsamem Protest.
Und Vomact stellte seinen letzten Antrag:
»Ich verlange die Bestimmung des anwesenden Dienstältesten zum Organisatoren des Strafvollzugs. Ich verlange, daß er die Befugnis erhält, einen oder mehrere Urteilsvollstrecker zu designieren, der oder die die Würde und den Willen der Checker vollziehen. Ich beantrage alleinige Verantwortung für die Tat, nicht jedoch für ihre Ausführung. Die Tat ist eine edle Tat, sie dient dem Schutze der Menschheit und der Ehre der Checker; doch von der Ausführung ist zu sagen, sie soll so erfolgen, wie es der Augenblick befiehlt, mehr nicht. Wer kennt die wahre Weise wie man einen Anderen tötet, hier, auf einer wimmelnden und wachsamen Erde? Hier geht es nicht lediglich darum, einen Schläfer mitsamt seinem Zylinder auszuschleusen, nicht darum, den Zeiger eines Habermanns bis zum Anschlag zu bringen. Wenn hier unten Menschen sterben, so ist das nicht so wie im Raum. Sie sträuben sich. Töten auf einer Erde ist für gewöhnlich unsere Sache nicht, o Brüder und Checker, wie ihr alle wißt. – Ihr müßt mich wählen, damit ich den richtigen Mann für den Auftrag aussuchen kann. Sonst wird das gemeinsame Wissen zum gemeinsamen Verrat; wenn ich hingegen als einziger um die Verantwortung weiß, bin ich der einzige, der uns verraten könnte, und ihr brauchtet nicht lange zu suchen für den Fall, die Technokratie käme und suchte.« (Und was ist mit dem Mörder? dachte Martel. Auch er wird es wissen, es sei denn, du bringst ihn für immer zum Schweigen.)
Vomact ging in die Haltung Die Ehrenwerten Checker mögen zur Abstimmung schreiten.
Ein Protestlicht leuchtete; wieder Changs.
Martel glaubte ein grausames, befriedigtes Lächeln auf Vomacts totem Gesicht zu entdecken – das Lächeln eines Mannes, der sich für unfehlbar hält und seine Unfehlbarkeit mit militanter Autorität auf
rechterhalten und bestätigt sieht.
Ein letztesmal versuchte Martel sich zu befreien.
Die toten Hände hielten. Sie schlossen wie Schraubstöcke, bis ihre Besitzer sie willentlich aufmachten: Wie sonst hätten sie unermüdlich Monat für Monat ein Steuer halten können?
Da schrie Martel: »Ehrenwerte Checker, das ist ein Justizmord!«
Kein Ohr hörte ihn. Er war gecrancht und stand ganz allein.
Dennoch brüllte er von neuem: »Ihr bringt die Brüderschaft in Gefahr!«
Nichts geschah.
Das Echo seiner Stimme hallte von einem Ende des Raums zum anderen. Kein Kopf drehte sich. Kein Blick suchte seinen.
Als die Checker sich zum Gespräch zu Paaren zusammenfanden, bemerkte Martel, daß sie ihm auswichen. Er sah, daß keiner den Wunsch hatte, seiner Rede zu folgen. Er wußte, daß hinter ihren kalten Gesichtern Mitgefühl oder Belustigung verborgen lag. Wie er wußte, war es niemandem unbekannt, daß er gecrancht war – absurd normal, menschenähnlich, vorübergehend kein Checker. Aber er wußte
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