Titan 15
schätzen, im Original natürlich.
Großer Gott! Es gibt so viele Originale und so viele Schriften! Als ich zwölf war, fing ich an, ihn auf die kleinen Unterschiede hinzuweisen, die es zwischen dem, was er predigte, und dem, was ich las, gab.
Aber die fundamentale Kraft seiner Antwort duldete keinen Widerspruch. Es war schlimmer, als wenn er mich verprügelt hätte. Fortan hielt ich den Mund und lernte die Dichtung des Alten Testaments zu schätzen.
»Herr, das tut mir leid! Vater, es tut mir wirklich leid, das darf nicht sein! Das ist nicht möglich…«
Am Tag, an dem der Junge mit Belobigungen und Preisen in den Fächern Deutsch, Spanisch und Latein die Oberschule abschloß, hatte Dad Gallinger seiner vierzehnjährigen, ein Meter achtzig großen Vogelscheuche von einem Sohn gesagt, er solle sich auf das Priesteramt vorbereiten. Ich erinnere mich noch daran, wie sein Sohn ihm auswich:
»Sir«, hatte er gesagt, »ich würde eigentlich lieber ein oder zwei Jahre für mich studieren und dann auf irgendeiner Universität ein theologisches Vorbereitungsstudium anfangen. Ehrlich gesagt, habe ich das Gefühl, daß ich für ein Seminar noch ein wenig zu jung bin.«
Und die Stimme Gottes sprach: »Aber du hast die Gabe der Zungen, mein Sohn. Du kannst in allen Landen Abels das Wort lehren. Du bist dazu geboren, Missionar zu sein. Du sagst, du bist jung, aber die Zeit eilt wie ein Sturmwind an dir vorbei. Je früher du beginnst, desto mehr Jahre kannst du dem Herrn dienen.«
Und diese zusätzlichen Jahre, die ich dem Herrn dienen sollte, lasteten schwer auf meinem Rücken. Ich kann mich an das Gesicht meines Vaters heute nicht mehr erinnern; ich konnte es nie. Vielleicht kam es daher, daß ich immer Angst hatte, ihm in die Augen zu blicken.
Und Jahre später, als er tot war, als er im schwarzen Gewand inmitten von Blumensträußen und Kränzen aufgebahrt lag, inmitten weinender Glaubensbrüder, inmitten von Gebeten, geröteten Gesichtern, Taschentüchern, Händen, die mir auf die Schulter klopften, Menschen mit würdigen Gesichtern… da sah ich ihn an und erkannte ihn nicht.
Wir waren uns neun Monate vor meiner Geburt begegnet, dieser Fremde und ich. Er war nie grausam gewesen, nur streng, fordernd, voll Verachtung für menschliche Schwäche, aber nie grausam. Ich hatte nur ihn gekannt, nie eine Mutter. Und keine Brüder. Und keine Schwestern. Er hatte die drei Jahre hingenommen, die ich in St. John’s verbracht hatte, wahrscheinlich wegen seines Namens, und ohne zu wissen, wie liberal und wie schön es dort gewesen war.
Aber ich habe ihn nie gekannt, und der Mann auf dem Katafalk forderte jetzt nichts mehr; jetzt war ich frei, das Wort nicht zu predigen. Aber jetzt wollte ich es predigen, wenn auch anders. Ich wollte ein Wort predigen, das ich zu seinen Lebzeiten nie hätte aussprechen können.
Ich kehrte zum Herbstsemester nicht zurück. Ich wollte die kleine Erbschaft antreten, hatte jedoch einige Schwierigkeiten, sie in die Hand zu bekommen, da ich noch nicht achtzehn war. Aber schließlich gelang es mir.
Ich ließ mich in Greenwich Village nieder.
Ohne den Glaubensbrüdern und der Gemeinde meines Vaters meine neue Adresse zu nennen, fing ich an täglich Gedichte zu schreiben und mir selbst Japanisch und Hindustani beizubringen. Ich ließ mir einen feuerroten Bart wachsen, trank Espresso und lernte Schach. Ich wollte ein paar andere Wege zum Heil ausprobieren.
Nachher folgten zwei Jahre mit dem Friedenskorps in Indien – das trieb mir den Buddhismus aus und verhalf mir zu den Flöten des Krishna und dem Pulitzerpreis, den ich dafür erhielt.
Dann kehrte ich wieder in die Staaten zurück, wurde promoviert, schrieb linguistische Arbeiten und sammelte weitere Preise.
Eines Tages flog ein Schiff zum Mars. Und als es wieder in New Mexico aufsetzte, hatte es eine neue Sprache an Bord. Sie war fantastisch, exotisch, ästhetisch überwältigend. Nachdem ich alles gelernt hatte, was es daran zu lernen gab, und nachdem ich mein Buch geschrieben hatte, war ich in neuen Kreisen berühmt.
»Geh nur, Gallinger! Tauch deinen Eimer in die Quelle und bring uns einen Schluck vom Mars! Geh, lerne eine andere Welt kennen, aber bleib du selbst, hab Geduld mit ihr – und reich uns ihre Seele in Hamben!«
Also gelangte ich in das Land, wo die Sonne wie ein kupferner Penny und der Wind wie eine Peitsche ist, wo zwei Monde sich über den Horizont jagen und der höllische Sand einem die Haut aufreibt, wenn man ihn auch nur
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