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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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gebräuchlichen Höflichkeitsfor
    meln, warf mir einen seltsamen Blick von der Seite zu und war verschwunden. Offenbar hatte sie damit gerechnet, hierbleiben und mir ›helfen‹ zu können. Sie wollte einen Teil des Ruhmes, so wie alle anderen. Aber in diesem Troja war ich Schliemann. Und auf dem Bericht für die Association würde nur ein Name stehen!
    M’Cwyie stand auf, und ich bemerkte, daß sie dabei nur unwesentlich an Größe gewann. Aber ich bin auch ein Meter zweiundneunzig lang und sehe aus wie eine Pappel im Oktober, dünn, oben grellrot, und blicke auf alle anderen hinunter.
    »Unsere Aufzeichnungen sind sehr alt«, begann sie. »Betty sagt, Ihr Wort für ihr Alter ist ›Jahrtausende‹.«
    Ich nickte zustimmend.
    »Ich bin sehr daran interessiert, sie zu sehen.«
    »Sie sind nicht hier. Wir werden in den Tempel gehen müssen, man darf sie nicht daraus entfernen.«
    Plötzlich wurde ich vorsichtig.
    »Sie haben doch nichts dagegen einzuwenden, wenn ich sie abschreibe, oder?«
    »Nein. Ich kann erkennen, daß Sie sie respektieren, sonst wäre Ihr Wunsch nicht so groß.«
    »Ausgezeichnet.«
    Sie schien amüsiert. Ich fragte sie, was sie so komisch fände.
    »Die Hochsprache ist vielleicht für einen Ausländer gar nicht so leicht zu erlernen.«
    Ich begriff sofort.
    Keiner aus der ersten Expedition war so weit vorgestoßen. Ich hatte also nicht wissen können, daß es hier in Wirklichkeit um zwei Sprachen ging – eine klassische und eine vulgäre. Ich kannte etwas von ihrem Prakrit, und jetzt mußte ich noch ihr ganzes Sanskrit lernen.
    »Verdammt noch mal!«
    »Wie bitte?«
    »Das kann man nicht übersetzen, M’Cwyie. Aber stellen Sie sich vor, Sie müßten ganz schnell die Hochsprache erlernen; dann können Sie sich vielleicht auch vorstellen, was ich jetzt empfinde.«
    Wieder schien sie amüsiert und sagte, ich solle meine Schuhe ausziehen.
    Sie führte mich durch einen Alkoven…
    …in eine Orgie byzantinischer Glorie!
    Kein Erdenmensch hatte diesen Raum bisher betreten, sonst hätte ich davon gehört. Carter, der Sprachforscher der ersten Expedition, hatte mit Hilfe einer gewissen Mary Allen die ganze Grammatik und das Vokabular gelernt, das ich kannte, und hatte die ganze Zeit im Schneidersitz im Vorraum gesessen.
    Wir hatten keine Ahnung gehabt, daß das hier existierte. Gierig ließ ich meinen Blick umherschweifen. Dem Schmuck lag ein aufs feinste ausgeklügeltes ästhetisches System zugrunde. Wir würden unsere ganze Meinung über die marsianische Kultur revidieren müssen.
    Die Decke zum Beispiel war gewölbt, an den Seiten standen Säulen mit tiefen Kerben; und dann – ach zum Teufel! Der ganze Raum war einfach riesig. Sagenhaft! Keiner hätte das hinter der schäbigen Fassade vermutet.
    Ich beugte mich vor, um die Goldfiligranarbeiten an einem kleinen Tischchen zu studieren. M’Cwyie schien mein Interesse zu genießen, trotzdem hätte ich nur höchst ungern mit ihr Poker gespielt.
    Der Tisch war mit Büchern beladen.
    Mit den Zehen fuhr ich ein Mosaik am Boden nach.
    »Liegt Ihre ganze Stadt in diesem einen Gebäude?«
    »Ja, es reicht weit in den Berg hinein.«
    »Ich verstehe«, sagte ich und verstand nicht die Bohne.
    Ich konnte sie schließlich doch nicht gut um eine Führung bitten.
    Sie trat zu einem kleinen Hocker neben dem Tischchen.
    »Sollen wir Ihre Bekanntschaft mit der Hochsprache jetzt einleiten?«
    Ich versuchte, die mächtige Halle mit den Augen zu fotografieren, wußte, daß ich über kurz oder lang irgendeine Kamera hier hereinbringen mußte. Ich riß den Blick von einer Statuette und nickte. »Ja, bitte, tun Sie das.« Ich setzte mich.
    Die nächsten drei Wochen jagten sich die Buchstaben vor meinen Augen, wenn ich zu schlafen versuchte. Der Himmel war ein einziges wolkenloses türkisfarbenes Tuch, über das, jedesmal wenn ich den Blick hob, Schriftzeichen rasten. Ich trank literweise Kaffee bei der Arbeit, und in den Pausen nahm ich Benzedrincocktails mit Sekt zu mir. M’Cwyie belehrte mich jeden Morgen zwei Stunden lang und gelegentlich abends auch noch zwei. Die restlichen vierzehn Stunden des Tages war ich auf mich allein gestellt.
    Und des Nachts trug mich der Fahrstuhl der Zeit in seine untersten Geschosse…
    Ich war wieder sechs, büffelte Hebräisch, Griechisch, Latein und Aramäisch. Ich war zehn, steckte gelegentlich die Nase in die Ilias. Und wenn Vater nicht gerade Höllenfeuer, Schwefel und brüderliche Liebe predigte, lehrte er mich, die Schrift zu

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