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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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haben, als suchte ich Murmeln, die ich gerade verloren hatte.
    Ich grinste verlegen, richtete mich auf. Mein Gesicht war gerötet, und zwar nicht nur von der Anstrengung. So schnell hatte ich sie nicht erwartet.
    Und dann mußte ich erneut an Havelock Ellis denken, an den Höhepunkt seiner Popularität.
    Die kleine rothaarige Puppe, die ein durchsichtiges Stück des Marshimmels wie einen Sari trug, blickte verwundert auf, so wie ein Kind eine farbenprächtige Fahne auf einer hohen Stange bewundert.
    »Hallo«, sagte ich. Vielleicht habe ich auch auf Marsianisch gegrüßt.
    Sie verbeugte sich, ehe sie antwortete. Offensichtlich war ich in einen höheren Rang befördert worden.
    »Ich werde tanzen«, sagte die rote Wunde in dieser blassen Miniatur, die ihr Gesicht war. Augen von der Farbe eines Traums und ihres Kleides rissen sich von meinen los.
    Sie schwebte in die Mitte des Raumes.
    Wie sie so dort stand, einer Figur in einem etruskischen Fries gleichend, machte sie auf mich den Eindruck, als meditiere sie oder mustere den Boden.
    War das Mosaikmuster dort ein Symbol für irgend etwas. Ich studierte es. Wenn ja, so vermochte ich den Sinn nicht zu erkennen; es würde einen hübschen Bodenbelag für ein Badezimmer oder eine Terrasse abgeben, aber mehr vermochte ich darin nicht zu erkennen.
    Die beiden anderen waren wie M’Cwyie mit Farbe überschüttete Sperlinge in mittleren Jahren. Eine ließ sich mit einem dreisaitigen Instrument, das mich flüchtig an ein Samisen erinnerte, auf den Boden nieder. Die andere hielt einen ganz gewöhnlichen Holzblock in der Hand und zwei Trommelstöcke.
    M’Cwyie verschmähte ihren Hocker und saß, ehe ich dessen recht gewahr wurde, auf dem Boden. Ich tat es ihr gleich.
    Die Samisenspielerin stimmte noch ihr Instrument, und so beugte ich mich zu M’Cwyie hinab.
    »Wie heißt die Tänzerin?«
    »Braxa«, antwortete sie, ohne mich anzusehen, und hob die linke Hand ganz langsam, was besagen sollte: Nur zu, fang an!
    Das Saiteninstrument zog wie ein Zahnschmerz, und ein Ticktacken wie von den Geistern aller Uhren, die man je erfunden hatte, ratterte aus dem Holzblock.
    Braxa war eine Statue, beide Hände zum Gesicht erhoben, die Ellbogen in Schulterhöhe angewinkelt.
    Die Musik wurde zu einer Umschreibung von Feuer.
    Sie bewegte sich nicht.
    Aus dem Knistern der Flammen wurde ein Lodern. Die Kadenz verlangsamte sich. Jetzt war es Wasser, das Wertvollste auf der Welt, zuerst gurgelnd klar und weich gleitend über grün bemoosten Felsen.
    Und immer noch bewegte sie sich nicht.
    Glissandos. Eine Pause.
    Und dann, so schwach, daß ich mir zuerst meiner Sache gar nicht sicher war, begann das Zittern der Winde, weich, sanft, seufzend und stockend, unsicher. Eine Pause. Ein Schluchzen. Dann eine Wiederholung, nur lauter.
    Hatte das viele Lesen meine Augen getrübt oder zitterte Braxa tatsächlich am ganzen Leib, von Kopf bis Fuß.
    So war es.
    Sie begann ein mikroskopisch feines Schwanken, den Bruchteil eines Zentimeters nach rechts, dann nach links. Ihre Finger öffneten sich wie die Blütenblätter einer Blume, und ich sah, daß ihre Augen geschlossen waren.
    Jetzt öffneten sie sich. Sie waren in die Ferne gerichtet, glasig, blickten durch mich und die Wände hindurch. Ihr Schwanken wurde ausgeprägter, wurde eins mit dem Takt.
    Jetzt fegte der Wind von der Wüste herein, brandete gegen Tirellian an wie die See gegen einen Deich. Ihre Finger bewegten sich, sie waren die Windböen.
    Ihre Arme, langsame Pendel, senkten sich, begannen eine gegenläufige Bewegung.
    Dann kam Sturm auf. Sie begann sich um ihre Achse zu drehen, und ihre Hände schlossen sich dem Rest ihres Körpers an. Nur ihre Schultern drehten sich noch in einer seltsamen Acht.
    Der Wind! Der Wind, sage ich. O wildes rätselhaftes Wesen! O Muse des heiligen Johannes von Persien!
    Der Wirbelsturm drehte sich jetzt um diese Augen, diesen einzigen Ruhepunkt. Ihr Kopf war zurückgeworfen, aber ich wußte, daß zwischen ihrem Blick, der so starr wie der Buddhas war, und den unveränderten Himmeln keine Grenze bestand. Nur die beiden Monde unterbrachen vielleicht ihren Schlummer in jenem elementaren Nirwana aus blankem Türkis.
    Vor Jahren hatte ich in Indien Devadasis zugesehen, Straßentänzerinnen, die ihre farbenprächtigen Gewebe durch die Luft wirbelten und das Insekt Mann an sich zogen. Aber Braxa war mehr als das: Sie war eine Ramadjani, wie jene Jünger des Rama, eine Inkarnation des Vishnu, der der Menschheit den Tanz

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