Titan 18
den Mund. »Ich möchte wissen, weshalb Sie seine Lordschaft mit Fragen über völlig belanglose Dinge belästigen.«
»Aber nein, Doktor Pirenne«, wandte der Kanzler ein. »Es ist schon gut. Es gibt ohnehin nicht viel darüber zu sagen. Das Kraftwerk ist explodiert, eine schreckliche Katas‐trophe, wissen Sie. Ich glaube, es sind einige Millionen Menschen dabei umgekommen, und der halbe Planet ist dabei zers‐tört worden. Wirklich, die Regierung überlegt ernsthaft, ob der Einsatz von Atomenergie nicht von s‐trengsten Vorsichtsmaßnahmen abhängig gemacht werden sollte –, aber Sie vers‐tehen natürlich, daß das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.«
»Ich verstehe«, sagte Hardin. »Aber was stimmte denn an der Anlage nicht?«
»Nun, wahrhaftig«, erwiderte Lord Dorwin gleichgültig, »wer weiß das schon? Sie war schon vor einigen Jahren einmal ausgefallen, und man nimmt an, daß die Reparaturen höchst nachlässig ausgeführt worden sind. Es ist heutzutage so schwierig, Menschen zu finden, die die technischen Einzelheiten unserer Kraftwerke wirklich vers‐tehen. In der Tat.« Und er nahm besorgt eine Prise Schnupftabak.
»Es ist Ihnen bewußt«, sagte Hardin, »daß die unabhängigen Königreiche der Peripherie überhaupt nicht mehr über Atomkraft verfügen?«
»Wirklich? Überrascht mich ganz und gar nicht. Barbarische Planeten – oh, aber lieber, junger Freund, nennen Sie sie nicht unabhängig. Das sind sie nicht, müssen Sie wissen. Die Verträge, die mit ihnen abgeschlossen worden sind, beweisen das. Sie erkennen die Oberhoheit Seiner Majestät des Kaisers an. Das mußten sie natürlich, sonst hätten wir keine Verträge mit ihnen geschlossen.«
»Das mag schon sein, aber jedenfalls verfügen sie über beträchtliche Handlungsfreiheit.«
»Ja, ich denke doch. Beträchtlich. Aber das hat ja wohl nur wenig zu sagen. Es ist für das Imperium viel besser, wenn die Peripherie auf ihre eigenen Hilfsmittel angewiesen ist – wie es ja mehr oder weniger der Fall ist. Uns nützen die überhaupt nichts, müssen Sie wissen. Höchst barbarische Planeten. Kaum zivilisiert.«
»In der Vergangenheit waren sie zivilisiert. Anacreon war eine der reichsten äußeren Provinzen. Soweit mir bekannt ist, hielt es durchaus Vergleichen mit Wega stand.«
»Oh, aber Hardin, das liegt doch Jahrhunderte zurück. Sie können doch daraus keine Schlüsse ziehen. In unserer glorreichen Vergangenheit lagen die Dinge ganz anders. Wir sind nicht mehr die Männer, die wir einmal waren, wissen Sie. Aber, Hardin, jetzt kommen Sie schon, Sie sind wirklich ein hartnäckiger Mensch, ich hab’ Ihnen doch gesagt, daß ich heute nicht über Geschäfte s‐prechen will. Doktor Pirenne hat mich schon vor Ihnen gewarnt. Er hat mir gesagt, Sie würden versuchen, mich zu bedrängen, aber dafür bin ich ein viel zu alter Hase. Heben wir uns das doch für morgen auf!«
Und das war’s dann.
Dies war die zweite Sitzung des Aufsichtsrates, der Hardin beigewohnt hatte, wenn man die informellen Gespräche nicht mitzählte, die die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrates mit dem inzwischen wieder abgereisten Lord Dorwin geführt hatten. Und doch war der Bürgermeister überzeugt, daß wenigstens noch eine, möglicherweise sogar zwei oder drei Sitzungen stattgefunden hatten, zu denen man irgendwie versäumt hatte, ihm eine Einladung zuzustellen.
Noch, so schien ihm, wäre er von dieser informiert worden, wäre das Ultimatum nicht gewesen. Zumindest lief es auf ein Ultimatum hinaus, wenn man auch beim oberflächlichen Lesen des fernkopierten Dokuments hätte meinen können, daß es sich nur um einen freundlichen Austausch von Grußbotschaften zwischen zwei Potentaten handelte.
Hardin hielt das Papier mit spitzen Fingern. Es begann blumig mit einem Gruß »Seine Mächtige Majestät König von Anacreon an seinen Freund und Bruder, Dr. Lewis Pirenne, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Enzyklopädia‐Stiftung Nummer Eins« und endete noch prunkvoller mit einem bombastischen mehrfarbigen Siegel von höchst komplizierter heraldischer Symbolik.
Trotzdem war es ein Ultimatum.
Hardin sagte: »Jetzt zeigt sich, daß wir doch nicht viel Zeit hatten – nur drei Monate. Aber so knapp die Zeit auch war, wir haben sie ungenutzt verstreichen lassen. Dieses Ding hier läßt uns eine Woche. Was tun wir jetzt?«
Pirenne runzelte besorgt die Stirn. »Irgendwo muß es doch einen Ausweg geben. Es ist absolut unglaublich, daß sie angesichts
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