Titan 22
hinauszugehen. Man hat sie informiert, daß Ihre Erklärung nicht ganz der Wahrheit entspräche. Das war notwendig, um eine Panik zu vermeiden. Die Leute dürfen einfach nicht die ganze Wahrheit erfahren.« Er machte eine Pause. »Wir möchten Sie jetzt bitten, Verständnis dafür zu haben, daß, was auch immer wir über Sie beide entscheiden, zum Nutzen der Menschen sein wird.«
Michael und Mary blieben stumm.
»Sie werden vor dem Ratssaal warten«, fuhr der Präsident fort, »bis wir unsere Entscheidung gefällt haben.«
Während der Mann und die Frau weggeführt wurden, pochten die Pumpen in der Stille, und am Rand der schrumpfenden Meere wurden die salzdicken Wasser in die Destillationsanlagen gesogen und aus ihnen in die vielen Etagen künstlicher Gärten, die wie gigantische Bienenstöcke entlang der Küsten angeordnet waren; und die Salzhügel, die hinter den Gärten in der Sonne glitzerten, wuchsen zu Bergen.
In ihren Räumen redeten Michael und Mary stundenlang und warteten. Rings um sie waren zerbrechliche, sich den Körperformen anpassende Stühle und durchscheinende Wände und eine Decke, die, als sie sie das erstemal sahen, das Licht der Sonne enthalten hatte und jetzt mit Mondlicht gefüllt war.
An einem kreisförmigen, drei Meter durchmessenden Fenster stehend, sah Michael weit unter sich die Lichter der Stadt, die sich am Ufer des Meeres entlang in die Dunkelheit erstreckten.
»Wir hätten unsere Botschaft über Radio abstrahlen sollen«, sagte er, »und zurück in den Weltraum fliegen.«
»Du könntest wahrscheinlich immer noch gehen«, sagte sie leise.
Er trat neben sie. »Ich könnte es nicht ertragen, draußen im Weltraum zu sein oder irgendwo, wenn du nicht bei mir bist.«
Sie blickte zu ihm auf. »Wir könnten in die Wildnis hinausgehen, Michael, außerhalb der Kraftfelder. Wir könnten weit weggehen.«
Er wandte sich von ihr ab. »Alles ist tot. Was für einen Sinn hätte es?«
»Ich kam von der Erde«, sagte sie leise. »Und ich muß zu ihr zurück. Der Weltraum ist so kalt und macht mir Angst. Stählerne Wände und Schwärze und die Raketen und die kleinen Lichtpunkte. Ein Gefängnis ist das.«
»Aber dort draußen in der Wüste zu sterben, im Staub.« Dann hielt er inne und wandte den Blick von ihr ab. »Wir sind verrückt – wir reden, als hätten wir eine Wahl.«
»Vielleicht müssen sie uns eine Wahl geben.«
»Wovon sprichst du?«
»Sie sind doch ganz hysterisch geworden, als sie die Leichen auf dem Bild gesehen haben. Die Leichen von Menschen, die nicht an Altersschwäche gestorben waren.«
Er wartete.
»Sie können den Anblick von Menschen nicht ertragen, die eines gewaltsamen Todes sterben.«
Ihre Hand griff an ihren Hals und berührte das winzige Amulett.
»Man hat uns diese Amuletts gegeben, damit wir eine Wahl haben sollten zwischen langem Leid oder schnellem, schmerzlosen Tod. Die Wahl haben wir immer noch.«
Er berührte das Amulett an seinem Hals und war eine lange Weile sehr still. »Wir drohen also, daß wir uns vor ihren Augen töten. Was würde das in ihnen bewirken?«
Er blieb lange Zeit still. »Manchmal glaube ich, Mary, daß ich dich überhaupt nicht kenne.« Eine Pause. »Und so sind wir beide, du und ich, jetzt wieder da, wo wir angefangen haben. Was soll es sein, der Weltraum oder die Erde?«
»Michael.« Ihre Stimme zitterte. »Ich – ich weiß nicht, wie ich das sagen soll.«
Er wartete, runzelte die Stirn, musterte sie.
»Ich – ich werde ein Kind bekommen.«
Sein Gesicht wurde ausdruckslos.
Dann trat er vor und nahm sie bei den Schultern. Er sah die Weichheit in ihrem Gesicht, sah ihre Augen, die so hell waren, als leuchtete die Sonne in sie; sah, wie ihre Wangen sich röteten, als wäre sie gelaufen. Und plötzlich saß ihm ein Kloß in der Kehle.
»Nein«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich kann es nicht glauben.«
»Es ist wahr.«
Er hielt sie lange Zeit fest und wandte dann die Augen ab.
»Ja, jetzt kann ich sehen, daß es wahr ist.«
»Ich – ich kann keine Worte dafür finden, warum ich es zugelassen habe, Michael.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht – was ich sagen soll. Es ist so… so unglaublich.«
»Vielleicht… bin ich so müde geworden… zu sehen, wie wir beide zwanzig Jahrhunderte lang immer wieder Gewebe gezüchtet haben, vielleicht war es das. Es war einfach… einfach etwas, das tun zu müsse n ich das Gefühl hatte. Einmal wieder – echte s Leben. Etwas Neues. Ich empfand das Bedürfnis, etwas
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