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Titan 22

Titan 22

Titel: Titan 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss , Wolfgang Jeschke
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separate Person. Sie wußten nicht, daß Michael Goodgrind häufig der König von Aragon war, so wie Lonnie häufig der Herzog von Flandern war. Aber nur für sich alleine gespielt, wäre das Kaiserspiel wohl auch zu beschränkt gewesen. Zu beschränkt für die Kinder.
    Die Mädchen spielten ihre eigenen Rollen. Laurie behauptete, dreizehn verschiedene Königinnen zu sein. Und dann war sie Prinzgemahlin aller drei Kaiser in jeder einzelnen ihrer Masken. Und es gab auch einige Tändeleien mit den Eretzi, denn sie war die Ausschweifendste in der Gruppe.
    Bea mochte die Rolle der Grande Dame und verstand sich auch ausgezeichnet auf die große Entsagung. In ihren verschiedenen Rollen trat sie Wege von Thronen zu Klöstern und wieder zurück an, und heute kennt man sie als fünf verschiedene Heilige. Jedesmal, wenn man auf heilige Frauen stößt, die weder Jungfrauen noch Märtyrerinnen sind, begegnet man wahrscheinlich ihr.
    Joan war die Träumerin, die vielleicht von dem Nachmittag mehr Freude bezog als alle anderen.
    Laurie erfand ein Melodram – Lucrezia Borgia und der Giftring. Es hat Vorteile, diese kleinen Melodramen auf Eretz zu spielen. Man kann so viele Rollen spielen, wie man will – sie sind gratis. Man kann sie so extravagant spielen lassen, wie man das wünscht – wer sollte schon Einwände vorbringen? Lucrezia war sehr gut für die Burlesken eines Kindes, und die Leichen reichten von Neapel bis Wien. Die Eretzi spielen jede überzeugende Rolle, die man ihnen anbietet, mit großem Eifer und gehen auch bereitwillig in den Tod, wenn die Rolle das verlangt.
    Lonnie erfand eine, die er ›Der Pfandleiher und der Papst‹ nannte. Sie war grandios, befaßte sich mit der Medici-Familie und hatte einige sehr spaßige Episoden im vierten Akt. Lonnie, der sehr stolz auf seine Schauspielkunst war, spielte Medici-Rollen in fünf aufeinanderfolgenden Generationen. Das Drama hinterließ mehr Leichen als das Lucrezia-Stück, aber die Morde waren nicht so plötzlich und auch nicht so gut in Szene gesetzt; die Mädchen verstanden sich besser auf das blutige Zeug.
    Ralpha schuf ein Denkstück, das sich ›Eins, zwei, drei – Unendlichkeit‹ nannte. In seiner Präsentation ließ er den ganzen Rest der Kinder großartig in der Hölle rösten; er füllte das Fegefeuer mit Leuten vom Eretzityp – den Langweilern; und als Paradies gab es bei ihm eine burleske, Übertreibung des Lebens zu Hause. Die Eretzi benutzen noch heute eine gekürzte Version von Ralphas Stück und nennen es die ›Göttliche Komödie‹, lassen dabei aber vieles weg, was Spaß macht.
    Bea erfand ein poetisches Stück, das sie das ›Hexenfeuer‹ nannte. Alle Kinder verbrachten so manchen glücklichen Abend damit, und sie verbrannten zwanzigtausend Hexen. An diesen Herbstzwielichtfeiern der Eretzi war etwas Befriedigendes, mit dem scharlachroten Himmel und den frostigen Feldern und den Ochsen, die friedlich auf den Wiesen muhten, und dem abendlichen Geruch von brennendem Eretzifleisch. Beas Stück war wirklich sehr pastoral.
    Alle Kinder kamen weit herum, mit Ausnahme von Hinkebein. Hinkebein (der Vulkan war) spielte mit seinen kranken Spielzeugen. Er arbeitete in Ateliers und Glasbläsereien, mit Essen und Brennöfen. Und häufig kamen die anderen Kinder und betrachteten sein Werk und machten eine Weile mit.
    Sie spielten mit dem Glas aus den Brennöfen. Sie machten Becher in goldenen Tönen, irisierende, gläserne Gedichte, Kugeln, hauchdünne Krüge, Musikinstrumente aus Glas, Drachenköpfe, Prinzessinnen, Figuren von Liebenden. So viele Dinge, die man aus Glas machen konnte! Machen und dann, wenn sie gemacht waren, zerschlagen!
    Aber einige der Dinge tauschten sie als Geschenke aus, statt sie zu zerschlagen – gläserne Vögel und Pferde, Kugeln, aus denen man weissagen konnte und die in ihrem Innern sich bewegende Menschen und Szenen zeigten, abgestimmte Glaskugeln, die wie Glocken klangen und gläserne Katzen, die funkelten, wenn man sie streichelte, Wölfe und Bären und Hexen, die flogen.
    Die Eretzi fanden einige dieser Dinge, die die Kinder ablegten. Sie studierten und imitierten sie.
    Dann kamen die Kinder in den Pausen ihrer eigenen Spiele wieder zu Hinkebeins Werkstätten zurück, wo er manchmal mit Webstühlen arbeitete. Sie machten sich Kostüme aus Wolle und Leinen und Seide. Sie machten Schleppen und Umhänge und Mäntel, alles Dinge für ihre großen Maskeraden. Sie fabrizierten Teppiche und Gobelins und woben alle möglichen Szenen

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