Titan 23
sagte er zu ihr. »Suchen wir erst das Loch, wie?«
»Hier ist es, Kent. Ich wäre fast hineingefallen.« Sie wies auf eine Stelle in dem Würmergewirr aus rotem Gras zu ihren Füßen. Mason kniff die Augen zusammen. Natürlich konnte er nicht in die Öffnung sehen. Die rote Vegetation verbarg sie. Er kniete nieder, überwand den Ekel, den er empfand, und schob sein Gesicht durch das wogende Gras. Jetzt war er von leerer Schwärze umgeben – befand sich unter dem Boden der Welt mit den roten Pflanzen.
Er war jetzt auf eigenartige Weise davon überzeugt, daß die Szenen, die fremdartigen Spiegelungen des Turms, nicht nur künstlich erzeugte Phantome waren, sondern tatsächliche Spiegelbilder wirklicher Welten, die existierten oder einmal existiert hatten oder in Zukunft existieren würden. Er umkreiste die Öffnung vorsichtig.
Sie durchmaß etwa zwanzig Fuß. Seine tastenden Hände fanden eine schräge Fläche, die in die Dunkelheit nach unten führte, schlüpfrig und zu steil, als daß man darauf hätte gehen können. Sie führte, soweit Mason das auf Händen und Knien ertasten konnte, in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad in die Tiefe.
»Kent«, sagte das Mädchen mit leiser, eindringlicher Stimme. »Hör mal!«
»Eh? Was…«
Und dann hörte er es auch – ein lautes kratzendes Geräusch. Es kam aus den Tiefen des unsichtbaren Schachts und wurde jetzt lauter, und eine plötzliche Vorahnung veranlaßte Mason dazu, nach Alasas Hand zu greifen und sich schnell zurückzuziehen. Das war ihr Glück.
Das Ding kam aus dem Schacht; zuerst sahen sie nur die sich bewegenden Fühler, zwei riesige Klauen, die konvulsivisch zuckten. Immer weiter schob es sich aus der Tiefe hervor, und dann sahen sie das ganze Geschöpf in seiner ganzen schreckenerregenden Scheußlichkeit.
»Eine Ameise!« hörte Mason sich flüstern. »Eine geflügelte Ameise!«
Es war ein Koloß. Die Bestie ragte gute fünfundzwanzig Fuß in die Höhe, und ihre Kiefer klickten, und die ausgebreiteten Flügel raschelten, wenn sie gegen den Körper streiften, während die Bestie blindlings nach oben kroch.
Die Kreatur bewegte sich nach vorne. Sie war blind, vermutete Mason. Man konnte keine Augen erkennen, aber deren Funktion übernahmen allem Anschein nach die Fühler. Die Klauen klickten drohend.
Der Schrecken ließ Masons Blut gefrieren. Während das Scheusal sich nach vorne schob, warf er sich zurück, zerrte Alasa mit sich.
»Zum Schiff!« sagte er verstört. »Komm!«
Das Gesicht des Mädchens war totenbleich, und sie nickte, hielt mit ihm Schritt. Mason rannte in die Richtung, in der er das Schiff vermutete – aber er hatte sich geirrt.
Da war wieder das Pochen, und jetzt veränderte sich seine Umgebung, und sie rannten durch – rannten durch Leere! Leerer Nebel, grau wallendes, dickes Zeug, das sie blendete. Mason überlegte blitzartig und bog nach rechts ab, zerrte Alasa mit – sie mußten so schnell wie möglich das Schiff finden.
Er hörte ein Scharren, ein trockenes Rascheln – die Riesenameise, die sie verfolgte. Wahnsinnige Furcht zerrte an Masons Bewußtsein. Dies war die Quintessenz alles Schrecklichen, durch Felsen zu waten, die er nicht fühlen konnte, durch Bäume zu rennen, die nicht existierten. Die Ameise verfolgte ihre Opfer mit ihrem Geruchssinn oder irgendeinem anderen, dem Menschen unvertrauten Sinn, und da sie blind war, machten ihr die sich verändernden dreidimensionalen Luftspiegelungen nichts aus! Offenbar waren sie geschaffen worden, um die Feinde der Ameisenungeheuer zu verwirren.
Vielleicht würden Mason und Alasa durch ein Feld von Smaragden rennen, die unter einem nebligen Himmel mit einem tiefhängenden Mond glitzerten, und dann würde wieder das Pochen und Pulsieren kommen, und das Panorama würde verblassen – eben wie eine Luftspiegelung. Und an seiner Stelle würde dann vielleicht ein weites Feld aus gefrorenem Weiß kommen, mit einem schwarzen, sternlosen Himmel darüber, sonst nichts. Einmal hasteten sie durch einen grünen Wasserwirbel, umgeben von Seetang und seltsamen Geschöpfen, die an ihnen vorbeischwammen – durch sie hindurch! Ein Ding wie ein großer, undurchsichtiger weißer Ball, pulsierend, sich windend, trieb auf Mason zu, und er sprang schaudernd beiseite.
Dann hörten sie wieder das trockene Rascheln und fingen erneut an zu rennen. Das Blut pochte in ihren Schläfen, und der Schweiß rann ihnen in die Augen, bis sie sich schließlich zu Boden werfen und um Atem ringend
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