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Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titel: Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Beesley
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3.00 Uhr bemerkten wir an
Steuerbord einen schwachen Lichtschein am Himmel; das erste Anzeichen der
beginnenden Dämmerung, wie wir dachten. Wegen der Uhrzeit waren wir uns nicht
sicher, aber begierig darauf, die Morgendämmerung zu erleben – nur um in der
Lage zu sein, einander ins Gesicht zu sehen und festzustellen, wer in Zukunft
sein Gegenüber sein würde; und auch von der Furcht frei zu sein, unsichtbar in
der Dunkelheit, im Kurs eines Dampfers zu liegen. Aber wir wurden an der Nase
herumgeführt: Das schwache Licht verstärkte sich mal, verschwand wieder,
leuchtete erneut auf und blieb für einige Zeit bestehen. »Das ist das
Nordlicht«, kam es mir in den Sinn, und so war es. Das Licht strahlte
fächerartig über den Nordhimmel mit schwachen Streifen zum Polarstern. Ich
hatte es vor einigen Jahren schon in gleicher Intensität in England gesehen und
erkannte es nun wieder. Ein Seufzer der Enttäuschung ging durch das Boot, als
uns klar wurde, daß es noch nicht Tag werden wollte. Wir hätten wissen sollen,
daß Tröstenderes als der Tagesanbruch auf uns wartete.
    Die ganze
Nacht hatten wir mit gierigen Augen den Horizont nach Dampferlichtern
abgesucht. Vom Heizer-Kapitän hatten wir gehört, daß das erste Auftreten eines
Lichtes am Horizont das Mast[Topp]licht sein würde, kurz darauf gefolgt von
einem zweiten, tiefer an Deck. Wenn diese beiden vertikal übereinander blieben
und der Abstand zueinander und mit abnehmender Entfernung kleiner würde,
könnten wir sicher sein, einen Dampfer vor uns zu haben. Aber was für eine
Nacht, solch ein Licht am Horizont zu erkennen! Im Laufe der Zeit, in der sich
die Erde weiterdrehte, sahen wir viele, und einige Sterne kamen über den klaren
Horizont, andere versanken hinter ihn, überall gab es Lichter. Einigen, die wir
sahen, folgten wir, bis wir die Täuschung bemerkten und klüger wurden, einige
Lichter gehörten zu solchen unserer Boote, die glücklicherweise Laternen
besaßen, aber diese waren leicht zu erkennen, denn sie schwangen in naher
Entfernung auf und ab. Erst nährten sie unsere Hoffnung, dann zerstörten sie
sie wieder. In der Nähe des Horizonts an Backbord sahen wir zwei Lichter dicht
beieinander und dachten, das müßten unsere Doppellichter sein, aber als wir
dann die trennenden Meilen überwanden, drehten die Lichter langsam auseinander,
und wir bemerkten, daß die Laternen zu zwei Booten in unterschiedlichen
Entfernungen gehörten, die in Kiellinie fuhren, eins hinter dem anderen. Es waren
möglicherweise die vorderen Backbord-Boote, die am nächsten Morgen so viele
Meilen über die Grabstelle der Titanic zurückfahren mußten.
    Aber ungeachtet dieser
Hoffnungen und Enttäuschungen, dem Fehlen von Lichtern, und – wie wir dachten –
Essen und Wasser, sowie der bitteren Kälte, wäre es nicht richtig gewesen zu
sagen, daß wir unglücklich waren in diesen frühen Morgenstunden. Die Kälte, die
wie ein Schleier über uns lag, war die einzige tatsächliche Komforteinbuße,
aber wir konnten damit fertig werden, indem wir nicht so sehr daran dachten
oder uns durch Reiben warm hielten oder leicht auf den Boden trampelten (es
macht einen fürchterlichen Lärm, wenn man zu kräftig auftritt!). Ich habe
nichts davon gehört, daß jemand im Boot irgendwelche Nachwirkungen durch die
Kälte gehabt hätte – auch der dünn bekleidete Heizer kam ohne Schaden durch.
Alles in allem, es gab viele Gelegenheiten, um dafür dankbar zu sein, so viele,
daß sie einige Dinge unbedeutend erscheinen ließen, die unter normalen
Umständen als unangenehm empfunden worden wären. Die teilweise lästige Kälte,
das Gedränge an Bord, die Dunkelheit und so weiter. Die ruhige See, die
wundervolle Nacht (welch ein Unterschied zu der Situation zwei Nächte später an
Bord der Carpathia, wo Blitze und Donnergrollen den Schlaf vieler
unterbrachen!), und vor allem die Tatsache, in einem Boot zu sein, wo doch
viele unserer Mitreisenden und Besatzungsmitglieder – deren Schreie nun nicht
mehr über das Wasser hallten – still im Wasser lagen.
    Dankbarkeit
war jetzt das vorherrschende Gefühl in uns. Und dankbar, wie wir waren, wurde
diese Dankbarkeit hundertfach verstärkt. Etwa um 3.30 Uhr, so gut ich es
schätzen kann, lenkte jemand im Bug unsere Aufmerksamkeit auf einen schwachen
Schein, weit fort im Südosten. Wir drehten uns alle um, und da war er
tatsächlich, heraufziehend vom Horizont, wie der entfernte Strahl von einem
Scheinwerfer eines Kriegsschiffes. Das schwache

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