Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
ein
Fischereifahrzeug und kein Dampfer gewesen.
Es fand sich
aber zunächst kein Beweis für weitere Schiffe in der Nähe des Unglücksortes und
die Widersprüche wurden unaufgeklärt zu den Akten gelegt. Dazu ein Zitat aus
dem offiziellen Bericht des Handelsausschusses vom 28. Mai 1912: »Ein (drittes)
Schiff hätte nicht westwärts fahren können, ohne die Californian im
Norden oder die Titanic im Süden zu passieren…« Das ist logisch, aber
dennoch falsch.
Hier enden
normalerweise die Berichte über die bis dahin größte Schiffskatastrophe, das
Staunen über die Praktiken im Passagierdienst auf dem Nordatlantik und die
unrühmliche Rolle der Californian.
Jahre später
kamen neue Erkenntnisse hinzu, denn es gab zumindest ein drittes Schiff. Es war
der norwegische Seehundfänger Samson unter Kapitän Ring. Das 506 tons große
Holzschiff (Bark mit Hilfsantrieb) fuhr ohne Funkanlage und war daher auf
optische oder akustische Kommunikation angewiesen. Es ist möglich, daß die Samson jene Dampferlichter führte, die von der Titanic aus beobachtet
wurden, aber sie könnten auch zu einem anderen Schiff gehört haben, um dessen
Identität auch heute noch gestritten wird. Der Kapitän der Samson reagierte
jedenfalls recht eigensinnig, und das könnte an seinem schlechten Gewissen
gelegen haben. Die Jagd auf Seehundbabies war schon damals reglementiert, für
die kanadischen Fanggründe galten die Absprachen jedoch nicht. Andererseits war
nach norwegischem Recht das Jagen an Sonntagen verboten. Deshalb, oder weil er
das Jagdrecht für die Neufundlandbänke – von denen er gerade kam – doch nicht
so genau zu kennen glaubte, hatte Ring Angst vor einer Überprüfung; der 14.
April war schließlich ein Sonntag. Als er die Titanic aus Osten
herankommen sah, hielt er sie vielleicht für ein Kriegsschiff, als er sie
»anhalten« sah, glaubte er an eine baldige Inspektion mit der Folge einer
empfindlichen Strafzahlung. Bis zum Anruf über Morselampe(n!) mag man dieser
Argumentation noch folgen können, aber eine Begründung, warum Ring nicht auf
die Leuchtkugeln reagierte, blieb er schuldig. Die einzige Möglichkeit, den
vermeintlichen Unannehmlichkeiten zu entkommen, schien zu sein, sich
unauffällig nach Nordosten abzusetzen, Kurs Island. Dort angekommen, hörte die
Besatzung natürlich von der Tragödie, die sich ganz in ihrer Nähe abgespielt
hatte. Der Erste Offizier der Samson, Hendrick Naess, vertraute sich dem
norwegischen Konsul in Reykjavik an und schrieb später seine Erinnerungen, die
1926 in der norwegischen Presse veröffentlicht wurden, aber keine große
Beachtung fanden. Erst sechzig Jahre später ist seine Geschichte erneut
aufgearbeitet worden. David L. Eno, Sachverständiger der US-Bundesregierung,
recherchierte mit Unterstützung der Titanic Historical Society in Island und
Norwegen. Dabei stieß er auf Hinweise, die der alten Geschichte eine neue
Glaubwürdigkeit zukommen lassen und damit zu den neueren Erkenntnissen gehören,
die noch nicht überall bekannt sind.
Selbst wenn
man über das Nichteingreifen der Samson schockiert ist, sollte nicht
vergessen werden, daß das kleine Schiff kaum eine Bereicherung der Rettungsmöglichkeiten
für etwa 1500 Menschen bedeutet hätte. Einzig die Californian hätte
genug Platz bieten können – wenn sie denn rechtzeitig gekommen wäre. Ist diese
Annahme überhaupt realistisch? Für die 20 Seemeilen brauchte sie am nächsten
Morgen etwa zwei Stunden – bei Tageslicht. Im günstigsten Fall, wenn der erste
Notruf gegen 00.15 Uhr gehört worden und sofort alle Maßnahmen zur Abfahrt
getroffen worden wären, wäre die Californian bestenfalls zur
Untergangszeit angekommen. Wäre sie erst nach dem Sichten der Leuchtkugeln und
Klärung ihrer Bedeutung abgefahren, hätte ihre Verspätung etwa eine Stunde
betragen. Zu dieser Zeit waren die Menschen im Wasser bereits tot. Aber diese
Überlegungen bleiben Spekulation.
Fassen
wir zusammen:
1. Die Titanic war das einzige größere Passagierschiff auf Westkurs um diese Zeit, und sie
war unter den idealen Wetterbedingungen nicht zu übersehen.
2. Sinnestäuschungen
(Verschätzen von Entfernungen, Lichter-für-Sterne-halten und umgekehrt) waren
möglich. Dazu zählen auch Refraktionsphänomene, die Objekte unterhalb des
Horizontes sichtbar werden lassen.
3. Es wird unterstellt, daß
niemand wissentlich falsche Aussagen machte, um zum Beispiel seine eigene
Schuld herunterzuspielen.
4. Der Segler Samson war
eines der
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