TITANIC-WORLD
hinterher. Jetzt ging’s endlich los!
Doch nach etwa zehn Minuten hatten beide feststellen müssen, dass gar nichts los gegangen war. Die Decks des Schiffes lagen im Halbdunkel da und außer den historischen Räumlichkeiten gab es weiter nichts, dass ihre Aufmerksamkeit fesseln konnte. Es gelang ihnen auch nicht tief in die unteren Bereiche der TITANIC zu gelangen, da es nirgendwo eine Treppe zu geben schien, die geradewegs von oben nach unten führte. Hin und wieder vermeinten sie Wasserrauschen zu hören, aber zu sehen war nichts. Die anderen Mitspieler, denen sie begegneten, strebten größtenteils dem Bootsdeck zu, in der Hoffnung, dort endlich auf die Action zu stoßen, die in der Werbung so angepriesen wurde.
„Mir ist stinklangweilig“, maulte Al wohl zum dutzensten Mal und sah sich missmutig um. Sie standen unschlüssig im Speisesaal der ersten Klasse auf dem D-Deck. Al hatte noch tiefer nach unten gewollt, aber Gary – dem das Erlebnis vor Beginn der Reise immer noch ein unwohles Gefühl bereitete – hatte sich dagegen ausgesprochen. Irgendwie jagten ihm die ausgestorbenen Räume voller Schatten und dunkler Ecken einen Schauer über den Rücken. Zu Anfang hatte er Al die Geschichte mit der toten Frau erzählen wollen, aber er traute sich nicht. Er kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass der ihn entweder für bescheuert erklären oder – und er konnte sich nicht entscheiden, was schlimmer gewesen wäre – ihn ausgelacht hätte. Eine Bewegung zu seiner linken ließ Gary zusammenfahren. Doch es war nur Al, der mit ärgerlichen Schritten tiefer in den Speisesaal stapfte. Dabei hob er theatralisch die Hände und rief: „Was für ein beschissenes Scheißspiel ist das! Warum, zum Teufel, muss man über die virtuellen Decks dieses Scheißkahns geistern, wenn man dasganze, in echt , in der TITANIC-WORLD auch zu sehen bekommt? Mann, eh! Lass‘ uns hier abhauen, bevor ich ‘nen Ausraster kriege!“
„Alles klar, Alter“, antwortete Gary insgeheim erleichtert und schlug vor: „Lass‘ uns rauf aufs Bootsdeck gehen und das Spektakel um die Rettungsboote ansehen. Der Untergang spielt sich ja in ‘nem Zeitraffer ab; die meisten Boote sind bestimmt schon weg.“
„Ja, Mann. Vielleicht gibt’s da ein endlich mal Action, wenn die Offiziere anfangen rumzuballern, damit die reichen Pinkel nicht so absaufen müssen, wie die armen Säue aus der dritten Klasse.“
Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung und Gary schloss sich ihm an. Dabei sagte er: „Die haben keine Passagiere erschossen. Nur der eine Offizier hat Selbstmord begangen; der hat sich selbst ’ne Kugel verpasst, weil er nicht absaufen wollte.“
„Nee!“ Al schüttelte entschieden den Kopf und erklärte nachdrücklich: „Ich hab‘ doch den Film gesehen, Mann. Ich weiß Bescheid. Zuerst hat der Besitzer der TITANIC den Offizier mit ordentlich Kohle bestochen, damit der den in das letzte Boot ließ. Dann, gerade als die anfingen das Boot runter zu lassen, kamen auf einmal jede Menge Zwischendeckpassagiere und versuchten das Rettungsboot zu stürmen – war ja nur halbvoll besetzt. Und da hat der Offizier dann drauflos geballert und die meisten von denen abgeknallt. Aber selbst umgebracht hat der sich, weil er wusste, dass er sowieso mit dem ollen Kahn absaufen muss und er die schönen vielen Scheinchen nicht mehr im nächsten Hafen verjubeln konnte. – So war das, Alter.“
Gary nickte nur vage. So , war das bestimmt nicht, Alter, schoss es ihm durch den Kopf, aber er verzichtete auf einen Kommentar. Er kannte Al lange genug; eher würde es in der Hölle schneien, als das sein Freund seine Meinung änderte. Mittlerweile waren sie am Fuß der Treppe angekommen und Al stapfte sofort die ersten Stufen hoch. Gary folgte ihm. Dabei warf er einen flüchtigen Blick über das Geländer – und erstarrte. Nur ein halbes Deck unter ihnen umspülte der Atlantik bereits den Treppenabsatz. Es plätscherte, gurgelte und rauschte nur so, als das schwarze Wasser in beängstigender Schnelle Stufe um Stufe empor kroch.
„Alter Schwede“, rief Al, der plötzlich wieder neben ihm stand aus. Er verzichtete auf weitere Äußerungen und zog Gary kurzerhand einfach weiter nach oben. Bald darauf standen sie ein bisschen außer Atem vor dem letzten Treppenaufgang auf dem ADeck. Angespannt spähten sie gemeinsam hinunter. Das Wasser folgte ihnen mit rasanter Geschwindigkeit und Gary schätzte, dass es sie spätestens in ein, zwei Minuten eingeholt
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