TITANIC-WORLD
hatte. Al überlief bei dem Anblick ein Schauer. Vergessen waren seine Langeweile und der Frust über zu wenig Action. Die Wassermassen waren echt; daran zweifelte er plötzlich keine Sekunde mehr. Sie kamen auf ihn zu und wollte ihn mit sich in die endlose Tiefe des Ozeans reißen.
„Lass‘ uns abhauen, Alter“, brachte er mit seltsam belegter Stimme hervor und sie setzten sich wieder in Bewegung. Doch diesmal schien es fast unmöglich, die letzten Meter auf das rettende Bootsdeck empor steigen zu können. Die Stufen hatten einen falschen Neigungswinkel und bei jedem Schritt, hatten sie das Gefühl, vornüber zukippen. Al und Gary klammerten sich an das Geländer und zogen sich mühsam in langsam wachsender Panik, Stufe für Stufe nach oben. Das Brausen des Wassers wurde immer lauter, doch die schrecklichen Geräusche des krängenden Schiffes übertönten das Rauschen und gingen beiden durch Mark und Bein. Plötzlich bemerkte Gary, dass sie nicht mehr alleine dem Bootsdeck zustrebten. Viele, viele Menschen, die zum Teil nur einen Morgenmantel über ihre Nachtwäsche geworfen hatten, mühten sich gleich ihnen die Treppe hoch. Sie alle trugen altmodische Schwimmwesten über ihrer Kleidung und in ihren Augen lag ein Ausdruck grenzenloser Angst. Gary starrte die Menschen gebannt an. Sie alle schienen durcheinander zu reden und er sah, dass einige der Frauen weinten; aber auch diesmal vernahm er kein Wort.
Al schaffte die letzten beiden Stufen als erster und taumelte auf das Vestibül zu. Er musste die Arme weit ausgestreckt von sich halten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die TITANIC tauchte mit dem Bug voran immer tiefer in den Atlantik ein und das Rauschen des Wassers schwoll zu einem Tosen an. Al sah sich um. Gary stand allein auf der vorletzten Stufe und blickte mit fassungslosem Gesicht die Wand an. So kam es Al jedenfalls vor, denn er konnte nicht begreifen, warum sein Freund wie festgewachsen dastand. Er wollte ihm gerade zurufen, was in Drei-Teufels-Namen an dieser beschissenen Wand so interessant sei, als ihm die Worte im Hals stecken blieben. Gary versuchte nach oben zu gelangen, dass sah Al ganz deutlich. Er bewegte sich; versuchte mit beiden Armen immer wieder eine unsichtbare Masse zu zerteilen – doch es gelang ihm nicht. Irgendetwas hinderte ihn, denn er kam einfach nicht vorwärts. Mit einem Schauern dachte Al, dass es fast so aussähe, als würde eine Menschenmenge seinem Freund den Weg versperren – aber da war niemand! Niemand. Nur die Fluten des Atlantiks, die bereits gierig die Füße seines Freundes umspülten.
Eine unendliche Sekunde lang übermannte Al das Gefühl, sich einfach umzudrehen und davon zu laufen. Da fiel ihm auf einmal das Sicherheitsprogramm wieder ein. Fest in dem Glauben, dass jetzt gleich jemand käme ihnen zu helfen, trat er einen Schritt auf die Treppe zu. Er wollte Gary – der offensichtlich nicht in der Lage war klar zu denken, geschweige denn sich zu bewegen – aus der Gefahrenzone zerren. Al tat einen weiteren Schritt in seine Richtung, als die TITANIC plötzlich mit einem ohrenbetäubenden Lärm nach backbord krängte und ihn zu Boden schleuderte. – Dann ging das Licht aus!
Es war schon nach sechs, als Cecilia an diesem entsetzlichen Tag in ihr Büro wankte. Craig folgte ihr mit müden Schritten. Mit Nachdruck schloss er die Tür und lehnte sich erschöpft dagegen. Erst als das Klirren von Glas an sein Ohr klang, erwachte er aus seiner Erstarrung. Cecilia mixte gerade zwei überdimensionale Gin Tonic und Craig erinnerte sich mit einem Anflug bitterer Ironie daran, dass das bei ihren gemeinsamen Expeditionen immer ihr Drink in Krisenzeiten gewesen war. Sie reichte ihm ein Glas und bot ihm wortlos eine Zigarette an, die er auch nahm. Dann brach Craig das Schweigen. Mit einer seltsam tonlosen Stimme sagte er: „Lass‘ uns nocheinmal die Fakten zusammen zählen.“ Cecilia unterbrach in sofort, in dem sie müde anmerkte: „Es gibt nur einen Fakt. Ein junger Mann musste mit einem schweren Schock und einer lebensbedrohlichen Unterkühlung ins Royal South Hants Hospital eingeliefert werden. Er ist zurzeit nicht vernehmungsfähig und wir haben Glück, wenn seine beiden Kumpels uns keine Anzeige an den Hals hängen – wegen grober Körperverletzung, zum Beispiel.“
„Das waren immerhin schon drei Fakten, Cissy“, versuchte Craig zu scherzen und ein verzerrtes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Lass‘ es mich anders formulieren: Ich schlage vor,
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