TITANIC-WORLD
sonst, wie ein Ei dem anderen.“ Sie unterbrach sich kurz und fuhr nach einem Moment zögerlich fort: „Die Alpträume und das … hm, bedrohliche Gefühl mit dem ich aufgewacht bin, ist eine Sache. Die andere ist die, dass ich … hm, wie soll ich sagen, hier draußen an der frischen Luft weniger, äh, Angst habe. Drinnen im Gebäude war die Atmosphäre, naja, irgendwie feindselig.“
Ian nickte nachdrücklich und meinte: „Ist es nicht komisch, dass außer uns beiden niemand ‘was zu spüren scheint? Denk an Fiona und Gareth – die haben noch nicht mal ein Wort über die Kälte verloren.“
Das war Gemma direkt aufgefallen, denn normalerweise hätte sich Fiona lautstark über die Kälte beschweren müssen. Ihre Freundin war in dieser Hinsicht so gar nicht britisch; sie überlegte schon bei 12 Grad Ceclsius ernsthaft, die Wintersachen auszupacken. Aber auch Gareth, der nur ein dünnes T-Shirt und Bermudas trug, schien die Kälte nicht wahrgenommen zu haben.
„Was machen wir jetzt?“ Ian sah sie fragend an. Er war sich selbst nicht sicher, ob er noch einmal einen Fuß in die Erlebniswelt setzen wollte – wer wusste schon, welch‘ seltsame Vision er diesmal haben würde? Außerdem hatte die Atmospähre wirklich etwas Merkwürdiges an sich, auch, wenn er es nicht unbedingt feindselig nennen wollte. Bedrückend oder beklemmend wären eher die Worte gewesen, die er gewählt hätte. Doch da Ian vor Gemma keinesfalls als Hasenfuß dastehen wollte, überließ er ihr die Entscheidung. Gemma trank den letzten Schluck Kaffee und zuckte vage mit den Schultern. Wenn es nach ihr gegangen wäre, so könnten sie gemütlich hier draußen sitzen bleiben und noch einen Kaffee trinken. Ihr lag gar nichts mehr daran, sich die Ausstellungsräume anzusehen. Auch wenn sie sich an keine Einzelheiten der Alptäume erinnern konnte, so lastete das Gefühl, einer Bedrohnung ausgesetzt zu sein, umso nachhaltiger auf ihr. Aber als Angsthase wollte sie auch nicht gelten und deswegen antwortete sie: „Also, die Artefakte würde ich mir schon gerne ansehen. Außerdem wollte ich in den Souvenir-Shop. Fiona wird nächsten Monat zweiundzwanzig und ich dachte, vielleicht finde ich hier ein passendes Geschenk für sie. Was meinst du?“
„Klar, kein Problem“, lächelte Ian und stand auf. Er zog den kleinen Wegweiser zu Rate und meinte nach einer Weile: „Die Artefakte sind in Themenbereiche unterteilt und auf den Decks A, B und F ausgestellt. Da der Souvenir-Shop auch auf dem ADeck ist, schlage ich vor, wir fangen oben an.“
Gemma nickte und mit einem mulmigen Gefühl folgte sie Ian in Richtung Treppenhaus.
Das Geräusch eines knallenden Sektkorkens riss Cecilia aus ihrer Erstarrung. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie fassungslos dagesessen und auf das Logbuch gestarrt hatte. Immer wieder las sie die wenigen Worte, die einstmals in Goldschnitt auf dem dunkelbraunen Ledereinband geprangt hatten; White Star Line – RMS TITANIC. Ihre Gedanken purzelten wild durcheinander und sie fühlte sich außerstande, auch nur einen zu fassen. Als Craig ihr ein Glas Champagner reichte, griff sie mechanisch danach und nahm nur am Rande wahr, dass sich die beiden zuprostesten. Erst als Craig versuchte auch mit ihr anzustoßen, kam sie langsam in die Wirklichkeit zurück. Ohne genau zu wissen, was sie tat, trank Cecilia einen Schluck. Allmählich wich die Starre, die sie gefangen gehalten hatte und das Chaos in ihrem Kopf begann sich zögernd zu lichten. Doch es vergingen noch ein paar Minuten, bis sie wieder klar denken konnte. Der Schock – das Schiffstagebuch des berühmtesten Liners der Welt vor sich zu haben – saß zu tief, als dass ihr in diesem Augenblick die Idee gekommen wäre, es zu lesen. Erschüttert überlegte sie nur, dass Craig das Logbuch bei einer der letzten beiden Expeditionen gefunden haben musste. Sie erinnerte sich, dass Nathan sie im Frühjahr 2008 nach New York zitiert hatte, um mit ihr über den geplanten Bau einer Erlebniswelt zum Thema TITANIC zu sprechen – und wie begeistert sie gewesen war, als er sie gebeten hatte, erste inhaltliche Schwerpunkte und Entwürfe auszuarbeiten. Diese Vorbereitungen hatten fortan ihren Arbeitsalltag bestimmt und natürlich schöpfte sie keinen Verdacht, als Craig vorschlug, die im August anstehende Fahrt zum Wrack, alleine durchzuführen. Da in der Hauptsache sowieso nur Filmbeziehungsweise Fotoaufnahmen geplant waren, die ihre Anwesenheit nicht zwingend erforderten, lag kein Grund
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