Titanus
Zentrale hat die Auswahl und kann die Straßen auf den Artikel umstellen, der gerade benötigt wird.«
Romain war derart versunken, daß er nicht bemerkte, wie sich ein Insekt auf seine Wange setzte. Erst als es ihn stach, zuckte er zusammen und griff in sein Gesicht. Die Männer wurden aufmerksam.
Kisi betrachtete das Insekt, das auf Romains Hand lag. »Ihnen ist ein seltener Fang gelungen! Dieses Insekt, das wir Bretse nennen, gibt es nur noch in wenigen Exemplaren, seitdem wir aus hygienischen Gründen einen Ausrottungsfeldzug geführt haben.«
Abends verließen die Männer müde das Werk. Die Vielzahl der Eindrücke hatte sie überwältigt. Und trotz der Filme, die sie gedreht hatten, fürchteten sie, Wesentliches übersehen zu haben.
Nach einem kurzen Flug landeten sie in der Nähe einer Stadt, deren Lichter weithin zu sehen waren.
Ursu, ein titanisches Mädchen, das sie begleitete, brachte die Männer zu ihrem Quartier, das am Stadtrand lag. Ursu war noch jünger als Kisi und verbreitete eine Atmosphäre des Frohsinns um sich. Sie war ebenso lustig wie Kisi, und wenn sie ins Mikrofon lachte, dann steckte sie die Männer unwiderstehlich an, obwohl der Sprachwandler ihre Laute tonverändert wiedergab. Mehr noch bestach die Männer jedoch ihre ungezwungene Anmut.
So wurde die Fahrt vom Flugplatz zum Quartier ein fröhlicher Abschluß des anstrengenden Tages.
Im Quartier, einem kleineren Kuppelbau, wartete eine neue Überraschung auf die Männer. Die Zimmer waren mit irdischen Einrichtungsgegenständen ausgestattet.
Alle waren sprachlos. Ursu lachte über die verdutzten Gesichter und strich sich mit einer schnellen Bewegung eine Lokke aus der Stirn.
»Wie ist das möglich, Genossin Ursu?« fragte Romain. »Ihr konntet doch in der kurzen Zeit seit unserer Ankunft nicht überall auf unserem Wege Quartiere einrichten.«
»O doch!« widersprach sie lebhaft. »Aber wir unterließen es, weil wir ja nicht wußten, welchen Reiseweg ihr wünschtet. Deshalb verdoppelten wir die Ausstattung, und eine Maschine bringt die frei gewordene Garnitur immer ein Tagesziel voraus.«
»Was für ein Aufwand…«
»Ihr seid unsere Gäste und sollt euch fühlen wie auf der Erde. Kisi hat es angeordnet. Und wir, die Titanen, wünschen das«, sagte sie schlicht.
»Kisi hat es angeordnet?« fragte Stafford überrascht.
»Kisi gehört zum Rat des Planeten. Er wurde berufen, die Ehrenpflicht zu leiten.«
Die Männer schwiegen. Rat des Planeten – das war eine Weltregierung! Und Kisi war demnach Minister.
Ursu vermutete hinter dem Schweigen weitere Fragen.
»Ehrenpflicht, das ist die Arbeit in den Grundstoffindustrien, zum Beispiel die Überwachung der Maschinen in den Kohlenschächten. Ihre Dauer ist nach der Schwierigkeit der Arbeitsbedingungen gestaffelt. Jeder Titan, ob Mann oder Frau, muß seiner Ehrenpflicht genügen, ehe er sich den Wissenschaften widmen kann – aber das ist selbstverständlich.«
»Wie alt ist denn Kisi?« fragte Stafford.
»In irdische Jahre umgerechnet, etwa fünfundsechzig. Er steht also noch im jugendlichen Drittel. Eigentlich dürfte er erst im zweiten, dem reifen Drittel, in den Rat berufen werden. Aber er hat während seiner Ehrenpflicht ein umwälzendes Aufbereitungsverfahren für Kohle entwickelt, das eine vielfache Ausbeute gegenüber dem alten Verfahren brachte und die letzte Knappheit beseitigte. Und nach der Ehrenpflicht erreichte er in kürzester Zeit den höchsten Grad der Wissenschaften auf dem Gebiet der Chemie und Physik…«
»Fünfundsechzig Jahre…«, wiederholte Stafford ungläubig.
Ursu lachte. »Wir beide, Fanor und ich, sind… mehr als sechzig irdische Jahre alt, sonst dürften wir nicht im Sekretariat des Rates tätig sein.«
Eine leichte Befangenheit kam auf. Die beiden Mädchen, die sie begleiteten, waren demnach so etwas wie Staatssekretäre der titanischen Weltregierung. Nach irdischen Maßstäben gerechnet, hätten sie die Mütter der Männer sein können.
Ursu verabschiedete sich. »Wenn ihr etwas wünscht, bitte, ruft uns. Unsere Zimmer liegen in der unteren Etage.«
Stafford erwachte. Es war dunkel im Zimmer. Vor den großen Fenstern rauschte der Regen. Windstöße fauchten, es klatschte gegen die Scheiben.
Doch da – was war das für ein Geräusch?
Stafford richtete sich auf, hielt den Atem an und horchte.
Da wieder! Wer stöhnte da? Romain?
Er sprang aus dem Bett, schaltete das Licht an und trat an das Lager seines Gefährten.
Er erschrak.
Über Romains Gesicht perlte kalter
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