Titanus
disziplinwidrig verhielt. Frühere Verdienste gelten nicht als Entschuldigung. Für mein Handeln trage ich die volle Verantwortung. Ich bitte deshalb, mich meiner Funktion als Chefingenieur zu entheben und mir die Gelegenheit zu geben, mich als Bordmonteur zu bewähren.«
Im Saal herrschte betroffenes Schweigen. Das hatte trotz allem keiner erwartet. Unter dem Eindruck des eben Gehörten wurden die weiteren Wortmeldungen zurückgezogen. Nasarow bat Romain um das Schlußwort.
Der Gruppensekretär trat zum Pult. Er sah schweigend ringsum, als wollte er jedem ins Auge sehen. »Genossen!« begann er endlich. »Der menschliche Körper ist ein Gemeinwesen einzelner Organe, die miteinander verwachsen und voneinander abhängig sind. Jedes einzelne Organ hat seine Funktion, und jede Funktion ist ein Teil vom Gesamthaushalt des Körpers. Deshalb überwacht man das Zusammenspiel der einzelnen Organe. Bei einer Funktionsschwäche greift man nicht sofort zur Schneidsonde, um das erkrankte Organ zu entfernen!
Ähnlich ist es bei einer Gemeinschaft. Wir sind miteinander verwachsen und voneinander abhängig. Unter uns ist keiner, den wir entbehren können. Aber ich glaube, wir haben nicht mit der nötigen Sorgfalt auf das gute Zusammenspiel geachtet. Wir übersahen die ersten Anzeichen einer Funktionsschwäche und haben nun etwas Ähnliches wie eine schmerzhafte Entzündung. Es wäre falsch, jetzt zur Schneidsonde zu greifen.
Genosse Jansen mußte sich viele Vorwürfe anhören. Diese Vorwürfe sind zweifellos berechtigt. Er wird sich bewähren müssen – aber ich bin der Meinung, entsprechend seinen Fähigkeiten auf seinem Posten! Genossen, wir sind eine sozialistische Gemeinschaft, deshalb kann dieser Vorfall nicht allein mit einer Verwarnung des Genossen Jansen für uns erledigt sein! Wir haben uns zuwenig um die einzelnen Genossen gekümmert. Das soll jetzt anders werden. Laßt uns aus diesem Vorfall lernen, laßt uns künftig näher zusammenrücken!«
Jansen war beschämt. Es drängte ihn, sich Romain anzuvertrauen. Nach der Versammlung bat er ihn um eine Aussprache. Romain lud ihn zu sich in seine Wohnung ein.
»Machen Sie sich’s bequem! Ich hole nur schnell etwas zu trinken«, sagte Romain, als die Tür hinter ihnen ins Schloß fiel. Jansen hatte Zeit, sich im Wohnraum umzusehen.
Die Einrichtung war schlicht und übersichtlich. Sie verriet einen auserlesenen Geschmack, wenn es Jansen auch verblüffte, daß er an den Wänden Reproduktionen von Rembrandt, Rubens, Raffael und anderen alten Meistern sah und doch keinen Gegensatz zu den modernen Möbeln empfand.
Romain trat unbemerkt ein und beobachtete Jansen.
»Die alten Gemälde, was?« sagte er und setzte die Flaschen auf den Tisch. »Ja, ich habe neben dem elektronischen Klavier, das mit dem klassischen nur den Namen gemein hat, nebenan auch ein echtes mit Saiten stehen! Und dazu Noten – Werke von Bach, Brahms, Beethoven, Mozart, um nur einige Klassiker zu nennen, die Ihnen als Deutschen besonders geläufig sein dürften. Und meine Bibliothek umfaßt auch Werke von Goethe, Schiller, ja sogar Kant und Schopenhauer finden Sie darin.«
»Fehlen bloß noch die alten Griechen«, sagte Jansen und schüttelte den Kopf.
»Wieso spotten Sie über die Klassiker des Altertums?«
»Entschuldigen Sie, Doktor, das wollte ich nicht. Aber Sie und Klassiker?«
Romain setzte sich zu ihm, streckte behaglich die Beine aus und sagte gutmütig: »Ich fürchte, Sie sehen es einseitig! Ich beschäftige mich mit der Vergangenheit.«
»Und doch haben Sie Gesellschaftswissenschaft studiert, sind politischer Stellvertreter des Leiters einer Expedition, die dreihundert irdische Jahre überspringt, und leben mehr im Morgen als im Heute!«
Romain lächelte. »Wurzelt nicht die Gegenwart in der Vergangenheit wie die Zukunft in der Gegenwart? Muß man nicht die Vergangenheit kennen, wenn man die Gegenwart verstehen und die Zukunft vorausbestimmen will? Lernten Sie nicht auch zuerst das Einmaleins, erst die physikalischen und chemischen Grundgesetze, ehe Sie den gegenwärtigen Entwicklungsstand der Wissenschaften ermessen und als Techniker neue Erkenntnisse erringen konnten? Sich mit der Vergangenheit befassen, sie ergründen, ihre Entwicklungsgesetze verstehen lernen, das bedeutet doch nicht Rückkehr zur Vergangenheit.«
Er hob sein Glas und trank Jansen zu.
»Ohne die Erfahrungen unserer Vorfahren könnten wir jetzt kein Bier trinken, das alkoholfrei ist und sich geschmacklich doch
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