TITLE
widerrief.
Nardini, der päpstliche Agent, dem man ohne Zweifel ebenfalls vergessen, seine Courtage zu bezahlen, machte nun gemeinschaftliche Sache mit Amasis, indem er erklärte, er bereue, sich zum Werkzeuge des Papstes hergegeben und ihm bei dieser abscheulichen Tat noch geholfen zu haben. Das Testament Amasis und die Geständnisse Nardinis wurden bald öffentlich bekannt, und man begann von allen Seiten zu murren. Der Papst begnügte sich jedoch zu antworten, die von Amasis zu seinen Gunsten geübte Freigebigkeit sei ein Wunder des Apostels Petrus, und es komme ihm nicht zu, sich dem Wohlwollen zu widersetzen, welches der Heilige für seinen Nachfolger bewahre. Da zu der Zeit, wo dies geschah, der Papst bereits einundsiebzig Jahre zählte, so begnügten Anna Maria und ihre Mutter sich damit, daß sie die besten Advokaten Roms eine Konsultation abhalten ließen und dieser gemäß beschlossen, den Tod des Papstes abzuwarten, und den Prozeß nicht gegen diesen, sondern gegen den Prinz-Herzog anhängig zu machen. Dieser Beschluß erschreckte Pius den Sechsten. Wenn er tot war, so war niemand mehr da, welcher das ganze Gewicht seiner Macht in die Wage geworfen hätte, welche eine alte mythologische Tradition der Göttin der Gerechtigkeit in die Hand gibt. Er zwang daher Anna Maria, ihre Rechte sofort geltend zu machen und den Prozeß gegen ihn zu beginnen. Das Interesse, welches das arme Kind einflößte, dem man sein rechtmäßiges Erbe rauben wollte, ward so allgemein, und die Ungerechtigkeit, gegen welche es reklamierte, war so augenscheinlich, daß die Richter dem Papst mitteilten, sie könnten nicht anders als gegen ihn erkennen, weshalb sie ihm rieten, sich mit der Klägerin zu vergleichen. Der Papst hätte demzufolge Anna Maria gewisse Eröffnungen machen lassen.
So weit war die Sache gediehen. Man sagte, Anna Maria würde die Hälfte des Vermögens ihres Großvaters annehmen und die andere Hälfte dem Prinz-Herzog überlassen, welcher auf diese Weise von vier Millionen vierhunderttausend Franks zwei Millionen zweihunderttausend behielt. Dies hieß vielleicht nicht sich mit Ehren, jedenfalls aber mit gutem Gewinn aus der Sache ziehen.
32. Kapitel.
Man begreift, daß ich bei meiner Vorliebe für das Theater sofort nach meiner Ankunft in Rom Sir William bat, mich ins Schauspiel zu führen. Meine Neugier war um so unwiderstehlicher, als ich hatte erzählen hören, daß hier die Gewohnheit herrsche, die Frauenrollen durch Knaben spielen zu lassen. Übrigens weiß ich nicht, ob man die amphibischen Wesen, welche hier die Stelle der Frauen vertreten, Knaben nennen kann. Bei den Griechen, diesen leidenschaftlichen Verehrern der Schönheit, hatte die plastische Träumerei den Hermaphroditen, die Verschmelzung aller Schönheiten beider Geschlechter und welcher gleichzeitig Hebe und Ganymed war, erfunden. Die Römer dagegen haben ein ganz besonderes Wesen erfunden, welches weder dem einen noch dem anderen Geschlecht angehört und welches weder Hebe noch Ganymed ist. Für diese seltsamen Wesen begehen die römischen Prälaten jedes Alters dieselben Torheiten, welche unsere jungen Herren in London und Paris für die Damen der Oper begehen. Sir William führte mich in das Theater Velle. Man gab hier »Armida« von Gluck, und die Rolle der Armida ward von einem jungen Sänger gegeben, welcher sich damals der Gunst der römischen Prälatur im höchsten Grade erfreute. In dem Augenblicke, wo er auf der Bühne erschien – und ich gestehe, wenn man mir es nicht vorher gesagt, so hätte ich darauf gewettet, daß es eine Frau und zwar eine hübsche Frau sei – in dem Augenblicke, wo er auf der Bühne erschien, sage ich, und ehe er noch einen einzigen Ton gesungen, brach das ganze Haus in einen wütenden Beifallssturm aus. Ernste Prälaten, alte Kardinale, deren schroffer Anblick mich betroffen gemacht, schienen mir nahe daran zu sein, vor Wohlbehagen ohnmächtig zu werden, als dieser – als dieses – ich weiß wirklich nicht, wie ich sagen soll – als dieses Objekt aus den Kulissen heraustrat. Sein Erfolg war ein unermeßlicher. Wir hatten in unserer Loge den Kardinal Braschi Onesti, jüngsten Bruder des Prinzen-Herzogs, welcher, kaum von einer schweren Krankheit erstanden, gemeint hatte, eine Leidenschaft für diesen zweiten Sporus habe für einen Rekonvaleszenten nichts Gefährliches. Er erzählte uns mit Stolz, daß die Krankheit, welche er überstanden, durch eine vollständige Erschöpfung der Kräfte herbeigeführt
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