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sich genötigt, zu vermitteln, die hohen Ehegatten einander wieder zu nähern, im Namen des Kaisers zu sprechen, mit einem Worte wenigstens einmal monatlich den Dienst eines Friedensrichters zu verrichten.
Der arme Lemberg war daher, mochte er auf der Promenade sein oder bei Tische sitzen, niemals sicher, daß er nicht plötzlich geholt würde, um die Ruhe zwischen den erhabenen Gatten wieder herzustellen. Einige Tage nach unserer Ankunft gab er ein großes Diner. Einer der Gäste erzählte uns, daß während der Mahlzeit ein Kurier von der Königin eingetroffen war. Der Graf von Lemberg mußte augenblicklich fort und seine Gäste allein weiterspeisen lassen. Es hatte sich nämlich in Caserta ein Streit wegen der Marquise von San Marco, vertrauter Ehrendame der Königin, erhoben.»Dieses verwünschte Weibsvolk bringt mich noch von Sinnen!« rief der Graf, indem er die Serviette hinwarf.
Ich werde diese Musterung von Staatsmännern damit schließen, daß ich einige Worte über ein diplomatisches Atom sage, welches Bonecchi hieß, und kaiserlicher Konsul und Agent von Toskana war. Sehr klein, sehr alt, unaufhörlich schmatzend, fortwährend spionierend und mit stierem Blich vorgestrecktem Hals und gespitztem Ohr auf Neuigkeiten lauernd, war Signor Bonecchi der Korrespondent des Kaisers Leopold, dem er alle Wochen Bericht über die Skandalosa erstattete, die am Hofe und in der Stadt vorgekommen waren. Wenn zufällig einmal die Anekdoten fehlten, so trug er kein Bedenken, deren zu erfinden. Anfänglich hatte er einen festen Gehalt bezogen, da aber, wenn er nicht hinreichend angespornt ward, die Neuigkeiten ausblieben, so fand der Kaiser es geraten, ihn wöchentlich und nicht mehr nach dem Jahre bezahlen zu lassen. Seit einem Jahre empfing er demgemäß zwei Louisdor für jede Anekdote, welche der Kaiser für interessant erklärte. Auf diese Weise verdiente er sich monatlich etwa zwanzig Louisdor. Dieser Köder hatte dem kleinen Manne ein eigentümliches Talent verliehen, sich in die Häuser einzuschleichen und sich zu allen Diners und Festlichkeiten einladen zu lassen. Man wußte recht wohl, was er hier wollte, da er aber im Namen des Kaisers und sogar, wie einige behaupteten, im Namen der Königin Karoline kam, welche ihre Privatspionage dem öffentlichen Spion ihres Bruders anvertraute, so wagte niemand, ihm den Zutritt zu verweigern oder ihm ein unfreundliches Gesicht zu machen. Wenn er dann wieder nach Hause kam, so setzte er alles, was er gehört, zusammen, zog Schlußfolgerungen daraus, fügte hinzu, nahm davon hinweg, änderte und schickte so wöchentlich seinem Souverän eine Chronik auf Kosten der höchsten Personagen.
Wenn wir nun noch auf die Ärzte, die Gelehrten und die Schriftsteller übergehen, welche die vertraute Gesellschaft Sir Williams bildeten, so sind wir dann fertig mit der Umgebung, welche mich in dem neuen Leben begleiten wird, in welches mich die Ereignisse führen, die ich bis jetzt erzählt, ebenso wie die noch unglaublicheren und besonders dramatischeren, welche ich den Augen des Lesers noch vorzuführen habe.
36. Kapitel.
Einige Zeit vor seiner letzten Reise nach London hatte Sir William zwei seiner eifrigsten Tischgäste verloren. Der eine war im Alter von achtunddreißig Jahren gestorben. Es war dies der berühmte Gaëtano Filangieri, gegen dessen Gattin ich mir großes Unrecht vorzuwerfen habe. Der andere, ein Greis von achtzig Jahren, war der berühmte Abbé Galiani, welcher für den geistreichsten Mann von Neapel galt. Diesen Ruf verdankte er vielleicht dem Umstand, daß er lange in Frankreich gewohnt hatte. Da diese beiden gestorben waren, ohne daß ich sie gekannt, so brauche ich mich nicht weiter mit ihnen zu beschäftigen. Zur Zahl unserer fleißigsten Besucher gehörten der Arzt Cotugno und sein Kollege, der Chevalier Gatti, zwei der merkwürdigsten Persönlichkeiten von Neapel. Abgesehen davon, daß der Doktor Cotugno einen hohen Rang in der medizinischen Wissenschaft bekleidete, so war er auch, wie mir Sir William mitteilte, einer der ersten Kenner der griechischen, lateinischen und italienischen Klassiker. Ich habe niemals begreifen können, wie ihm bei seiner ausgebreiteten Praxis, seinem Dienst in den Hospitälern und den Konsultationen, die er in seiner Wohnung erteilte, noch Zeit zu der Lektüre blieb, aus welcher er seine unermeßliche Gelehrsamkeit schöpfte. Von den Patienten, die zu ihm kamen, nahm er nie etwas, seine Besuche dagegen ließ er sich unabänderlich mit
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