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daß man mir gestern abend während des Diners einen schwarzgesiegelten Brief brachte?« antwortete Mylord.
»Ja.«
»Nun, dieser Brief meldete mir, daß mein Sohn in Livorno gestorben ist. Ich wollte die heitere Stimmung an Ihrer Tafel nicht stören und bezwang mich daher. Sobald ich aber mich wieder in meiner Wohnung befand, kam der Schmerz nur umso heftiger zum Ausbruch. Um mich recht auszuweinen, wollte ich daher heute niemanden empfangen, nicht einmal Sie.« Die offizielle GesellschaftSir Williams war natürlich das diplomatische Korps. Seine vertraute Gesellschaft dagegen bestand aus hervorragenden Gelehrten und Schriftstellern. Der älteste fremde Minister in Neapel war Graf von Sa, Gesandter von Portugal. Seit den dreißig Jahren, die seine Ernennung bereits zurücklag, war er nur ein einzigesmal nach Lissabon zurückgekehrt und von dort so schnell als möglich wiedergekommen.
Einmal hatte er einen gewaltigen Schrecken gehabt. Es war nämlich die Rede davon gewesen, die portugiesische Gesandtschaft in Neapel als kostspielig und unnütz aufzuheben und den portugiesischen Gesandten in Rom mit den Angelegenheiten an beiden Höfen zu beauftragen. Zum Glück aber war der König Joseph der Erste gestorben, seine Tochter, die Königin Marie, hatte entschieden, daß die Gesandtschaft auch noch ferner bestehen solle, und der Graf von Sa hatte wieder aufgeatmet. Übrigens gab es wenig Diplomaten, deren Amt eine so vollständige Sinekure gewesen wäre wie das dieses Ministers, der weiter nichts zu tun hatte, als seinem Hofe die laufenden Nachrichten mitzuteilen, die er von seinem Sekretär niederschreiben ließ. Die Promenade war die einzige Arbeit, die er sich zumutete. Man sprach viel von seinem Harem, der aus Tänzerinnen vom San Carlo-Theater bestand. Was ihn selbst betraf, so sprach er fast gar nicht, denn das Portugiesische hatte er vergessen und das Französische und das Italienische niemals geläufig sprechen gelernt. Er war groß, breitschulterig und hatte einen Nacken wie ein Stier, mit welchem auch seine Physiognomie viel Ähnliches hatte. Von seinen Talenten weiß ich nichts zu sagen, denn während der sieben oder acht Jahre, wo ich ihn alle Wochen dreimal sah, konnte ich nie auch nur ein einziges an ihm entdecken. Der bedeutendste Minister war der Graf von Lemberg, weil er Familiengesandter war. Er war ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Mann und ganz das Gegenteil von dem Grafen von Sa. Man warf ihm zuweilen vor, daß er stolz sei; mochte nun dieser Vorwurf ungerecht sein oder der Graf von Lemberg meinen, daß dem Gesandten Großbritanniens gegenüber ein solcher Fehler eine Lächerlichkeit sein würde, kurz, wir hatten niemals Gelegenheit, etwas davon zu bemerken. Wahrscheinlich war er bei den Neapolitanern bloß deshalb in diesen Ruf gekommen, weil er die Schmarotzer und Flachköpfe, von welchen es am Hofe von Neapel wimmelte, nicht leiden konnte.
Gleich am ersten Abend, wo ich ihn sah, bemerkte ich zumeinem Befremden, daß er seine Meinung über die höchsten Personen des Hofes so rückhaltlos aussprach, als ob er von den gemeinsten Lazzaronis gesprochen hätte. Das Gespräch kam auf den Chevalier Acton, und der Gesandte von Toskana fand sich veranlaßt, sich über diesen Günstling in lobender Weise zu äußern. Der Graf von Lemberg verzog jedoch verächtlich den Mund und sagte:
»Aus diesem Manne wäre ein guter Seeräuber geworden; damit ist alles gesagt. Er besitzt die Talente und den Körperbau eines solchen und diesem Umstand verdankt er wahrscheinlich seine hohe Stellung.«
Man versicherte, daß er bei einer Unterredung mit der Königin in bezug auf diesen selben Acton gesagt hatte:
»Ich will über die verborgenen Eigenschaften dieses Ministers weder zum Nachteil noch zum Vorteil etwas sagen. Ich kenne dieselben nicht und mag sie auch nicht kennen, wohl aber weiß ich, daß die, welche er im Ministerium entwickelt, nicht den Ämtern entsprechen, womit Eure Majestät ihn beehrt haben.« Die Stellung des Grafen von Lemberg am Hof von Neapel war eine durchaus nicht beneidenswerte. Als Familiengesandter fand er sich in alle Intrigen verwickelt, und es läßt sich nicht leugnen, daß einige dieser Intrigen nicht auf der Höhe der Majestät seines Dienstes standen.
Zwischen dem König und der Königin kamen häufige Zwistigkeiten vor. Ich werde von diesen Zwistigkeiten später einige erzählen, die in meiner Gegenwart stattfanden. Bei allen diesen ehelichen Zerwürfnissen sah der Gesandte
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