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der Kardinal Ruffo besaß außerordentlich viel Geist. Was die Königin betraf, die nicht weniger geistreich als der Kardinal war, so sah sie mit großerBefriedigung, wie die Kolonie von San-Leucio gedieh, sich vergrößerte und bevölkerte. Wenn der König den Salomo und Idomeneus studiert hatte, so hatte sie dagegen Frau von Pompadour studiert und regierte, während der König sich belustigte. Zwar war es nicht ein heiteres Geschäft, im Jahre der Gnade 1793 zu regieren. Das werden mir bald sehen, indem wir uns wieder den Staatsangelegenheiten zuwenden.
59. Kapitel.
Ich habe gesagt, daß noch an demselben Tage, wo man in London die Nachricht von der Hinrichtung Ludwigs des Sechzehnten erhalten, die englische Regierung dem französischen Gesandten andeutete, daß er das Land zu verlassen habe. Das war eine Beschimpfung, die das stolze Frankreich nicht ertragen konnte. So wie es Österreich den Krieg zuerst erklärt, so erklärte es auch neun Tage nach der Ausweisung seines Gesandten England und Holland den Krieg. Darauf hatte England nur gewartet. Ich hörte, wie Sir William und die Königin die Kräfte der beiden Mächte berechneten und mit Freude die Überlegenheit der materiellen Kräfte Großbritanniens über die Frankreichs konstatierten. Frankreich war ohne Geld, ohne Waffen, fast ohne Heer; seine ganze Seemacht bestand in sechsundsechzig Linienschiffen und achtzig Fregatten oder Korvetten. England war in finanzieller Hinsicht in einem so blühenden Zustand, daß Mr. Pitt sagte, daß er, wenn er soviel Geld hätte, um die Nationalschuld abzutragen, doch dies nicht tun, sondern das Geld lieber in die Themse werfen würde. Was die Seemacht Englands betraf, so bestand diese aus hundertundachtundfünfzig Linienschiffen, aus zweiundzwanzig Schiffen von fünfzig Kanonen, aus fünfundzwanzig Fregatten und hundertundacht Kuttern. Also besaß England ungefähr viermal soviel Schiffe als Frankreich. Wenn man nun noch die hundert Kriegsschiffe Hollands dazurechnet, so wird man sehen, daß die beiden verbündeten Mächte fünfhundertunddrei Kriegsschiffe gegen zweiundsechzig aussenden konnten. Diese Rechnung, welche man dem König Ferdinand wohl zehnmal wiederholen mußte, gab ihm endlich den Mut, sich mit England zu verbünden und am 20. Juli 1793 unterzeichnete die neapolitanische Regierung, ohne, daß man Frankreich irgend etwas von dem Bruche mitgeteilt, einen geheimen Vertrag mit England.
In diesem Vertrag ward bedingt, daß der König von Neapel zwölf Schiffe, darunter vier Linienschiffe und ebensoviel Fregatten zu dem Geschwader schicken sollte, mit welchem England im Mittelmeere kreuzen wollte, wie auch sechstausend Mann zu dem Landungsheer dieses Geschwaders. Der König hatte nach und nach den Vorsitz im Staatsrate aufgegeben und die Königin wohnte stets den Verhandlungen bei, die sie mit der Wut des Hasses betrieb. In zwei Monaten waren Soldaten und Schiffe ausgerüstet und ein Teil stieß zu der anglo-spanischen Flotte, welche vor Toulon kreuzte. Durch einen royalistischen Agenten, den die Königin in dieser Stadt hatte, wurden mir von allem unterrichtet, was vorging. Toulon hatte Teil an dem großen Aufstand genommen, welcher sich im Süden Frankreichs gegen den Konvent gebildet. Die Stadt war in drei Parteien geteilt: in die Jakobiner, die konstitutionellen Royalisten und die entschiedenen Royalisten. Wir wußten, daß die konstitutionellen und die anderen Royalisten, durch die Hinrichtungen erschreckt, die ihre Zahl zu vermindern begannen, sich vereinigt hatten, und daß es sich um nichts Geringeres, als um die Überlieferung der Stadt an die Engländer handelte.
Am 10. September signalisierte man ein englisches Schiff, welches auf den Hafen von Neapel zusegelte und von Frankreichs Küsten zu kommen schien. Seit einigen Wochen schon entfernten wir uns nur sehr wenig aus Neapel, da wir wichtige Nachrichten erwarteten. Man unterrichtete also die Königin von dem Ereignis und sie ließ uns, Sir William und mich, davon benachrichtigen. Ich sage von dem Ereignis, denn in den Umständen, in denen wir uns befanden, war die Ankunft eines englischen Schiffes ein Ereignis. Wir begaben uns sogleich in den Palast. Die Königin befand sich auf der Terrasse, mit einem Fernglas in der Hand und erforschte das Schiff, welches nach und nach seine Segel reffte, um langsamer segeln zu können, und jetzt in den Hafen einlief. An den Signalen sah man schon, daß dieses Schiff der »Agamemnon«, ein Linienschiff des Königs
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