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eine Kopfbewegung ebenso wie mit dem Munde. Ich folgte ihr. In ihrem Schlafzimmer lagen auf einem breiten Kanapee, welches dem Bett gegenüber stand, eine ganze Welt von Papieren, die wie ein Wasserfall von dem Sofa auf den Boden gefallen waren.
»O Gott!« rief ich, »ich hoffe, daß Ihre Majestät nicht verurteilt ist, dies alles zu lesen?«
»Nein, ich habe es aber gelesen, ohne dazu verurteilt zu sein.« – »Dann überrascht es mich nicht, daß Ihre Majestät heute morgen so bleich und so leidend aussehen.«
»Das ist begreiflich, denn ich habe nicht geschlafen.«
»Was haben Ihre Majestät denn getan?«
»Ich habe es dir ja gesagt, ich habe alle diese Papiere, die du hier liegen siehst, vom ersten bis zum letzten gelesen.«
»Und zu welchem Zweck?« – »Sieh', an wen diese Papiere adressiert sind,« sagte Karoline und zeigte mir ein Kuvert. »An den Bürger Mackau, Gesandter der französischen Republik in Neapel.« Ich blickte die Königin an. »Wie!« fragte ich sie erstaunt, »der Bürger Mackau teilt Ihrer Majestät die Briefe mit, die er von seiner Regierung erhält?« – »O welche Unschuld!« rief die Königin. In diesem Augenblicke hörte man eine Stimme, welche vor der Tür sagte: »Hier ist der Mann, den Eure Majestät haben rufen lassen.« Karoline zog den Riegel, den sie vorgeschoben, selbst zurück und öffnete die Tür.
Ein Mann, der zu der Dienerschaft zu gehören schien, trat ein. Als er die Königin erblickte, verneigte er sich bis auf die Erde. »Ist es gewiß,« fragte ihn Karoline, »daß ich hier alle Papiere der französischen Gesandtschaft habe?«
»Alle, ohne Ausnahme, Majestät! Selbst die, welche in dem Schreibtisch des Gesandten lagen.« – »Du lügst nicht?« – »Ihre Majestät werden es an dem Geschrei sehen, welches der Gesandte erheben wird, wenn er bemerkt, daß er bestohlen worden ist.« – »Ich habe dir zweitausend Dukaten für diesen Diebstahl versprechen lassen.« – »Ja, Majestät, und ich habe tausend als Abschlagszahlung erhalten.« – »Obgleich die Papiere nicht so sind, wie ich es wünschte so sind doch hier die anderen tausend Dukaten.« – »Ich danke, Majestät; man hat mir aber noch mehr versprochen.« – »Was denn noch?« – »Da ich der einzige bin, der das Zimmer des Gesandten betreten, so wird man mich zuerst in Verdacht haben und gewiß festnehmen.« – »Was kann es dir denn schaden, wenn die Richter dich nicht verurteilen?« – »Ich werde dennoch einige Monate im Gefängnis sitzen müssen.« – »Was kann das dir denn aber schaden, wenn du für jeden Monat, den du im Gefängnis zubringen wirst, hundert Dukaten erhältst?« – »Wenigstens ist dies dann eine Entschädigung. Auf alle Fälle vertraue ich mich der Gnade der Königin an.« – »Lasse dich festnehmen, leugne kühn, was auch für Beweise wider dich sein werden, stelle uns unter keinem Vorwand bloß und sei ruhig.«
Der Dieb – denn, wie man gesehen haben wird, war es wirklich ein Dieb – steckte die Börse ein. »Wie!« sagte die Königin, »du zählst ja nicht?«
»O, das wäre ja ein Beweis von Mißtrauen.«
»Es ist gut, du wirst wegen deines Vertrauens belohnt werden. Verlaß mich jetzt.« Der Mann verneigte sich abermals bis auf die Erde und ging fort. »Nun?« fragte mich die Königin, »verstehst du jetzt den Stand der Dinge?«
»Nein, denn ich kann nicht glauben, daß Ihre Majestät den französischen Gesandten durch diesen Mann haben seiner Papiere berauben lassen.«
»Dies ist aber dennoch die einfache und genaue Wahrheit.«
Ich gestehe, daß ich erschrak, denn ich dachte, daß ein auf den Befehl meiner Königin ausgeführter Diebstahl doch immer ein Diebstahl sei. Karoline erriet, was in meinem Innern vorging. »Ich glaubte in diesen Papieren Beweise für ein Einverständnis zwischen den Jakobinern von Neapel und den Jakobinern von Paris zu finden,« sagte sie. »Ich habe mich allerdings geirrt, jedoch darin etwas nicht weniger Wichtiges gefunden.«
»Und was haben Ihre Majestät gefunden?«
»Warte,« sagte Karoline, »es ist mir, als ob das der Tritt des Königs wäre – ja, er ist es. – Was will er denn zu dieser Stunde bei mir?« In diesem Augenblicke klopfte man ziemlich laut an die Tür.
»Ob ich nicht recht habe!« sagte die Königin, indem sie sich so setzte, daß sie die Papiere unter den Falten ihres Gewandes verbarg. Ich öffnete. Der König sah sehr unruhig aus.
»Mein Himmel!« rief Karoline lachend, »was fehlt Ihnen denn, mein
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