TITLE
der Unglückliche bereits drei Jahre im Gefängnisse ist? Er war siebzehn Jahre, Madame; hat ein Kind von siebzehn Jahren wohl eine selbständige Meinung? Er hat sich das Haar kurz schneiden lassen, das ist sein einziges Verbrechen. Während der drei Jahre aber, die er im Gefängnisse zugebracht hat, haben seine Haare Zeit gehabt, wieder zu wachsen.« – »Das ist gleich, er weiß etwas von der Verschwörung, die uns umgibt und uns bedroht. Er mag gestehen, was er weiß, und ich will ihn und seine beiden Gefährten begnadigen.« – »Er soll bekennen?« rief der arme Vater, »er soll bekennen?! Hat er denn etwas zu bekennen? Weiß er denn etwas? Und kann er, selbst wenn er sprechen wollte, etwas bekennen, wenn er nichts von dieser Verschwörung weiß, von derSie sprechen, Madame, und die, wie man sagt, nur in dem Hirn der Richter existiert? Wie können Sie verlangen, daß er etwas bekenne, was er nicht weiß? Wer sollte ihm übrigens auch Ihre Bedingungen überbringen? Wer wird eine überzeugende Stimme besitzen, um seine etwaigen Skrupel zu besiegen? Wer wird ihn im Namen seines Vaters beschwören, um diesen Preis zu leben? O, niemand, ich würde vielleicht diese Person sein – und selbst dann noch!« – »Auf Sie rechne ich eben, mein Herr, Sie sollen Ihren Sohn sprechen.« – »Ich soll meinen Sohn sprechen, meinen Emanuel!« rief der Vater, indem er seine Stirn mit beiden Händen faßte, als ob er fürchtete wahnsinnig zu werden. »Was sagen Sie mir da?« – »Hier ist ein Befehl für Don Basilio Palmieri, den Fiscalprocurator. Ich sage ihm darin, Ihnen die Erlaubnis zu geben, Ihren Sohn zu sehen und sich eine Stunde lang ohne Zeugen mit ihm zu unterhalten.« – »Wann, Madame, wann –, bedenken Sie, daß ich ihn seit drei Jahren nicht gesehen habe.« – »Heute abend, von zehn bis elf Uhr.« – »Und wenn ich Don Basilio nun nicht antreffe?«« – »So werden Sie Ihren Sohn morgen anstatt heute besuchen.« – »Es ist aber bereits neun Uhr, Madame, ich habe keinen Augenblick zu verlieren.« – »Ich halte Sie auch nicht länger zurück; gehen Sie!« – »O, es ist mir, als sollte ich vor Freude wahnsinnig werden.« – »Was suchen Sie?« – »Ihre Hand, Ihre Hand, Madame, um sie zu küssen!« Die Königin reichte ihm ihre Hand. Sie war wirklich von dieser tiefen Bewegung gerührt, und wenn der arme Vater in ihrem Herzen hätte lesen können, wie ich, so hätte er beharrlich gefleht und sie hätte ihm das Leben seines Sohnes ohne irgendeine Bedingung geschenkt. Zum Unglück sagte er weiter nichts; stürzte aus dem Zimmer und wiederholte die Worte: »Mein Sohn! mein Sohn! mein Emanuel! ...« Und das Geräusch seiner. Schritte verhallte allmählich mit dem Klang seiner Stimme.
68. Kapitel.
Die Königin und ich, wir blieben allein. Marie Karoline war bewegt; man fühlte aber, daß es bei diesem mit einem dreifachen Panzer bekleideten Herzen ganz anderer Bewegungen bedurfte, um es zu schmelzen. »Jetzt kommt die Reihe an uns,« sagte sie. Ich hatte meinen Mantel nicht abgelegt, sie band den ihrigenum, schlug ihre Kapuze über das Gesicht, nahm meinen Arm und zog mich nach der Treppe. Am Fuße derselben fanden wir den Wagen, in dem ich nach der Brigittenstraße gefahren war. Die Königin stieg ein, ich folgte. Der Lakai schloß die Tür. »Wohin?« fragte er. – »Nach der Vicaria,« erwiderte die Königin. Und der Wagen fuhr schnell durch die Toledostraße, verließ dieselbe an der Ecke des Palastes Maddalone, um sich in dem Labyrinth von Gäßchen zu verlieren, welche nach dem alten capuanischen Palaste führen. Ich war mehrere Male am Fuße dieser Mauern vorübergekommen und hatte mit Grauen die Gefangenen an dem Gitter ihres Gefängnisses hängen und die Häupter der Geköpften an den Ecken der Mauern ihres eisernen Käfigs vertrocknen sehen. Jetzt aber sollte ich in den furchtbaren Umkreis treten, wo die Verurteilten ihren dreitägigen Todeskampf kämpften.
Es war sehr wahrscheinlich, daß ich nicht nur etwas Neuem, sondern auch etwas Schrecklichem, Furchtbarem, etwas Unerhörtem beiwohnen sollte.
Ich schmiegte mich schaudernd an die Königin und fühlte, wie sie hart und kalt wie Marmor war. Sie mußte furchtbar gelitten haben, daß sie so gleichgültig hatte werden können.
Ohne Zweifel erwartete man uns, denn schon bei dem Geräusch unseres Wagens öffnete sich die Tür und wir befanden uns auf dem Hof. Ein Mann stand am Fuße einer linksgelegenen Treppe mit einer Laterne. Der Lakai
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