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öffnete den Schlag, die Königin stieg aus und schritt gerade auf diesen Mann zu. Ich folgte ihr mit wankendem Tritt.
»Sie sind der Oberkerkermeister, nicht wahr?« sagte die Königin in dem befehlenden Tone, der nur ihr eigen war. – »Ja, Madame.« – »Sie erwarten mich?« – »Ich erwarte eine Person, die mir einen Befehl des Fiscalprocurators überbringen soll.«
»Hier ist dieser Befehl.«
»Sie erlauben doch, daß ich ihn lese?«
»Das ist sogar Ihre Pflicht.«
Der Kerkermeister las den Befehl des Fiscalprocurators, faltete das Papier zusammen und steckte es in die Tasche. »Jetzt, Madame,« sagte er, »haben Sie mir zu befehlen, und ich habe zu gehorchen. Was wünschen Sie?« – »Der Vater des Verurteilten Emanuelo de Deo hat von dem Herrn Fiscalprocurator die Erlaubnis erhalten, eine Stunde mit seinem Sohne zu sprechen. Ichmöchte der Unterredung beiwohnen, ohne daß man wüßte, daß ich da wäre, und wo möglich hören, was sie sprechen.«
»Nichts ist leichter, Madame. Die drei Gefangenen sind in der Totenkammer.« So nennt man nämlich das Zimmer, in welchem die Verurteilten die letzten drei Tage ihres Lebens zubringen. Von einer Seite steht dieses Zimmer mit der Kapelle in Verbindung, von der anderen mit der Garderobe, in welcher die Brüderschaft der Bianchi, welche die Verurteilten zur Richtstätte begleiten, ihre langen weißen Kleider aufbewahrt. In diesem Kabinett, in welches man durch eine geheime Treppe gelangt, ohne daß man weder durch die Kapelle noch durch die Totenkammer gehen muß, sind unsichtbare Öffnungen angebracht, damit die Richter das Gespräch der Gefangenen untereinander hören, und selbst ihre Gebärden wahrnehmen können. »Sie können in dieses Kabinett gehen, und werden daselbst alles sehen und hören, was in der Totenkammer vorgeht.«
»Es ist gut. Wir wollen gehen!«
Der Kerkermeister öffnete das Gitter, an welches er sich lehnte, die Königin ging durch und stieg kühn die dunkle Treppe hinauf, die sich vor ihr befand.
»O Madame, Madame, warten Sie!« rief ich ihr zu.
Das Gitter schloß sich hinter uns, indem es in seinen Angeln knarrte. Dann rasselte der Schlüssel im Schloß.
Karoline hatte den ersten Treppenabsatz erreicht, tastend hatte ich sie gesucht und gefunden, denn dank unserer schwarzen Kleider waren wir in der Dunkelheit vollkommen unsichtbar. Ich klammerte mich an die Königin an.
Der Kellermeister ging an uns vorüber und seine Laterne warf einen bleichen Lichtschein auf die schwarzen Mauern.
In der ersten Etage schloß ein zweites Gitter die Treppe in ihrer ganzen Breite. Der Kerkermeister öffnete es wie das erste, mit demselben Knarren der Angeln und Schlüssel, dann gingen wir hindurch, dann schloß es sich hinter uns und ich fühlte mich doppelt bedrückt, denn jedem, auch dem Unschuldigen, der ein Gefängnis betritt, ist es, als ob diese furchtbaren Pforten, obgleich sie für das Verbrechen allein gemacht sind, sich nie wieder öffnen sollten. Wir gingen einen feuchten und engen Korridor entlang, auf den sich vergitterte Fenster öffneten, die Licht in die Zellen bringen sollten. Als die Laterne zu einer so ungewöhnlichen Stunde an den Fenstern vorüberkam, sah man hier und da die undeutliche Gestalteines Gefangenen sich auf seinem Lager aufrichten und hörte das Knistern des Strohes. Ich war von unendlicher Furcht erfüllt, wie es stets der Fall ist, wenn man sich an einem unbekannten und unheimlichen Orte befindet. Von Zeit zu Zeit mußten wir warten; ein neues Gitter ward vor uns geöffnet, dann wieder geschlossen und bei jedem war es mir, als ob ich, wie Dante, eine neue Stufe in der Hölle überschritte. Wenn ich mit unserem Führer allein gewesen wäre, so wäre ich ohnmächtig zusammengesunken, und wenn ich ganz allein gewesen wäre, so hätte die Furcht mich getötet. Endlich erreichten wir das Ende des Korridors, welches an eine ebenso enge Treppe wie der Korridor selbst stieß und die mit einem Gitter eiserner Querstangen wie die der Fenster geschlossen war. So klein meine Hand auch war, so konnte ich doch dieselbe nicht durch diese Stangen bringen. Der Kerkermeister drehte sich herum und sagte mit leiser Stimme: »Wir brauchen nur dieses Gitter noch zu öffnen und diese Treppe hinaufzugehen, dann sind wir da.« – »Dann öffnen Sie,« sagte die Königin mit einer Stimme, welche nicht die geringste Gemütsbewegung verriet.
Der Kerkermeister gehorchte, jedoch mit einer Vorsicht, welche bewies, daß mir uns wirklich
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