TITLE
einen gedämpften Wirbel, welcher anzeigte, daß das düstere Drama seinen Anfang nähme.
Da Gagliani der jüngste der drei Verurteilten war – ich habe bereits gesagt, daß er kaum neunzehn Jahre alt war – so stieg er zuerst auf die Plattform. In dem Augenblicke, wo dieses so jugendliche und dennoch dem Tode geweihte Haupt erschien, durchlief ein Schauer die Menge und einige Stimmen riefen um Gnade. »Gnade?« rief Gagliani, die Stimme erhebend. »Man hat uns auf Kosten unserer Ehre Gnade angeboten und wir haben sie verschmäht.« Der Henker saß schon rittlings auf dem Querbalken des Galgens, die Gehilfen stießen Gagliani an die Leiter; er stieg die fünf oder sechs Stufen leise hinauf und die Schlinge ward ihm um den Hals gelegt. »Es lebe die Freiheit!« hatte er noch Zeit zu rufen. Sofort stieß der Henkersknecht die Leiter mit dem Fuße um, und der von dem Stoße bewegte Körper baumelte in der Luft. Der Henker glitt auf die Schultern des Gehängten herab, der Knecht klammerte sich ihm an die Füße, eine unförmliche, von Todeszuckungen bewegte Gruppe erschreckte die Zuschauer einen Augenblick lang, dann sprang der Henker auf die Erde, der Knecht zur Seite und der Leichnam des ersten Märtyrers hing mit gebrochenen Halswirbeln unbeweglich am Galgen. Jetzt kam Emanuele de Deo an die Reihe. Er stieg die Stufen der Plattform schnell hinauf und schien jemanden in der Menge mit den Augen zu suchen. Da erhob sich mitten in dem tiefen Schweigen eine Stimme, welche schmerzerfüllt rief: »Du suchst mich wohl? Hier bin ich, mein Kind!« Und nun sah man den alten Vater Emanuels, der sich mit tränenbetautem Antlitze auf den Fußspitzen erhob, sein Taschentuch schwenkte und ohne Zweifel in Erfüllung eines letzten Versprechens gekommen war, um seinem Sohne Lebewohl zu sagen. »Lebe wohl, mein Vater, lebe wohl!« rief seinerseits der junge Mann. »Ich sterbe für mein Vaterland. Möge mein Vaterland sich meines Todes erinnern und denselben rächen!« Und indem er selbst nach der Leiter stürzte, ging er die Stufen rückwärts hinauf, steckte seinen Hals durch die verhängnisvolle Schlinge und der zweite Akt des furchtbaren Dramas begann. In dem Augenblicke aber, wo sich der Henker auf die Schultern des Gehenkten gleiten ließ, wo der Henkersknecht sich an seine Füße klammerte, wo der Greis jammernd seinen Sohnrief und die Hände verzweiflungsvoll rang, ertönte ein furchtbares Geschrei, das halb Mitleid, halb Drohung war. Eine schwankende Bewegung durchlief die Menge, das Kommando: »Fertig! Schlagt an!« ließ sich hören und dann folgte ein Klirren, welches den schnellen Gehorsam derer anzeigte, denen dieses Kommando gegeben worden. Eine Rauchwolke, auf welche der Knall einer blindgeladenen Kanone folgt«, zeigte sich an einem der Türme des Kastells; das neapolitanische: »Fliehe, wer kann!« »Fuga! Fuga!« ward von Tausenden von Stimmen wiederholt, die Reihen der Soldaten wurden durchbrochen, nicht von Angreifenden, sondern von Fliehenden und der Henker, welcher fürchtete, daß man ihm inmitten dieses Tumultes sein letztes Opfer rauben könnte und er die zehn Dukaten verlieren möchte, welche die Munizipalität für jede Hinrichtung bewilligt, stürzte sich mit einem Messer auf Vitagliano und durchbohrte ihn. Dieser sank zum Tode getroffen nieder. Und während die bestürzte Menge durch die zahlreichen Straßen, die an den Largo del Castello stießen, von diesem Kommando, diesem Musketengeklirr und von diesem Kanonenschusse verfolgt, entfloh, schleppten der Henker und seine Knechte den sterbenden Vitagliano auf die Plattform, wo er sein Leben aushauchte, und da sie nichts anderes tun konnten, so hingen sie anstatt eines Lebendigen einen Toten an den Galgen. Dies waren die Ereignisse, die Sir William, der Augenzeuge dieser furchtbaren Szene gewesen war, uns mit diplomatischer Genauigkeit erzählte.
72. Kapitel.
Marie Karoline hörte der Erzählung vom Anfange bis zu Ende zu, ohne ein Zeichen von Erregung zu geben; nur verlangte sie, als Sir William geendet, ein Glas Wasser. Ich holte selbst eins von ihrer Toilette und brachte es ihr, als sie es aber aus meiner Hand nahm, zitterte die ihrige und ich hörte, wie ihre Zähne an dem Rande des Glases klapperten. »Sie sind krank, Madame,« sagte ich. – »Ja, ich glaube selbst,« erwiderte sie, »daß ich etwas Fieber habe.« Dann drückte sie mir die Hand, wie von plötzlichem Schrecken ergriffen, und sagte: »Du wirst doch die Nacht in meiner Nähe bleiben,
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