TITLE
tiefer. Ich kniete vor dem Bett der Königin und hielt das Becken, in welches sich ihr Blut, wie mir es schien, in furchtbarer Menge ergoß. Ich wußte noch nicht, was mir Sir William später mitteilte, daß der menschliche Körper sechzehn bis siebzehn Pfund Blut enthält. In dem Maße, in welchem das Blut floß, ward es mir dunkel vor den Augen und der kalte Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich hielt jedoch trotzdem nicht weniger fest, bis zu dem Augenblick, wo der Arzt mir sagte: »Sie können das Becken auf die Erde stellen, Madame, es ist alles vorbei.« Als ob ich in meiner Hilfeleistung all meine Kräfte, besonders meine Willenskraft, erschöpft hätte, ließ ich mich, nachdem ich auf die Erlaubnis des Doktors das Becken kaum niedergesetzt, auch mich völlig gehen und den Kopf auf das Bett der Königin sinken. »Ich hatte es Ihnen wohl gesagt,« bemerkte Cottugno.« –»O, es ist nichts, Doktor, es ist nichts,« erwiderte ich, »Sie haben ihr aber soviel Blut entzogen.« – »Nicht mehr als fünf bis sechs Unzen. Das Gehirnfieber muß gemildert werden. Es hat eine Gehirnerschütterung stattgefunden; wir müssen das Gleichgewicht wieder herstellen. Wenn das Fieber, die Röte und besonders das Delirium andauern sollten, so müsse die Königin die Füße in so heißes Wasser setzen, als sie es nur ertragen kann, und in welchem man drei bis vier Unzen Senfmehl aufgelöst. Hilft dies noch nicht, so müssen ihr Senfpflaster auf die Fußsohlen gelegt werden, denn alles das Blut, welches jetzt nach dem Kopfe strömt, muß in die Extremitäten gezogen werden.« »Bitte, schreiben Sie das alles auf, Doktor,« sagte ich. »Warum wollen Sie aber nicht bei der Königin bleiben?« – »Ja und meine Spitäler! Wer sollte denn dort meinen Dienst übernehmen? Das ist unmöglich, schöne Frau, unmöglich! ... Um zwei Uhr nachmittags werde ich wieder hier sein. Die Königin mag sich gedulden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Delirium bis dahin schwächer geworden sein und unsere erhabene Kranke sich auf dem Wege der Besserung befinden ... Und sehen Sie, da schläft sie schon.« In diesem Augenblicke schlug die Uhr.
Bei dem ersten Schlag öffnete die Königin die Augen und schien ängstlich zu horchen. Ich horchte fast ebenso ängstlich wie die Königin, denn ich kannte die Ursache ihrer Aufmerksamkeit, mit der sie auf dieses Geräusch hörte. Die Uhr schlug die dritte Stunde. »Gut!« sagte Karoline, »noch eine Stunde!« Und ihr Haupt sank wieder auf die Kissen. »Man muß zu verhüten suchen,« sagte Cottugno, »daß diese Uhr die Stunden, besonders aber die nun folgende schlägt.« Er sprach diese Worte mit solcher Einfachheit, daß es unmöglich zu erkennen war, ob er eine andere Absicht hatte hineinlegen wollen, als die, der Uhr Schweigen zu gebieten. Ich ging an den Kamin und hielt den Zeiger an. Cottugno fühlte den Puls der Königin; er hatte sich um zwölf Schläge vermindert. »Alles geht gut,« sagte der Doktor, »und wenn nichts Neues geschieht, wird die Königin in drei Tagen hergestellt sein.« Dann wischte er mit der größten Sorgfalt seine Lanzette ab, hielt die Spitze derselben in die Flamme der Kerze steckte dann die Lanzette wieder in sein Besteck, dieses in die Tasche, empfahl mir, das Blut aufzubewahren, damit er die Zusammensetzung desselben untersuchen könnte, und ging fort, indem er mir riet, ein wenig auszuruhen. Ich bedurfte der Ruhe in der Tat sehr, denn seit dreiNächten hatte ich gar nicht oder doch nur wenig geschlafen. Der Schlaf der Königin war im ganzen ruhig, nur fuhr sie einigemal heftig zusammen. Ich zog einen Sessel an ihr Bett, nahm ihre Hand in die meinige, damit ich durch ihre leiseste Bewegung geweckt werden möchte, und schlief selbst ein. Wie lange mein Schlaf dauerte, weiß ich nicht, als ich aber die Augen aufschlug, von dem Geräusch geweckt, welches in dem Nebenzimmer entstanden, war es bereits heller Tag. Das Geräusch ward durch eine Person verursacht, welche heftig sagte: »Ich muß zur Königin! Ich sage Ihnen, ich muß zu ihr!« Ich sprang von meinem Sessel auf und stürzte in das Nebenzimmer. Hier sah ich eine vornehme Dame, die ungefähr dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt sein mochte und deren Gesicht tiefe Spuren von Schmerz zeigte. »O Madame,« rief sie, als sie mich erblickte, »machen Sie es möglich, daß ich zur Königin gelange, ich bitte Sie inständigst!«
Und sie faßte meine Hände, indem sie sich neigte, als ob sie auf die Knie sinken wollte.
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