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durchbohrt. Den Tag vorher hatte eine große Demonstration stattgefunden, die den König in seinem Entschlüsse, in Neapel zu bleiben, nicht wenig bestärkt hatte. Eine ungeheure Menge Volkeshatte sich auf dem Schloßplatze versammelt, indem sie rief: »Tod den Jakobinern!« Zugleich hatte man nach ihren Namen gefragt, um sie alle niederzumetzeln, und zu verstehen gegeben, daß, wenn erst die inneren Feinde vernichtet seien, es leicht sein würde, auch die äußeren Feinde zu vertilgen. Bei dem wütenden Geschrei, welches die Menge erhob, hatte sich der König auf dem Balkon gezeigt, dem Volke durch Gebärden und Worte gedankt und den Fürsten Pignatelli unter die Menge geschickt, mit dem Auftrage, mit ihren Anführern zu sprechen und ihnen zu sagen, daß die Abreise des Königs, die man vor der Zeit gemeldet, noch lange nicht bestimmt sei, und daß aller Wahrscheinlichkeit nach der König, wenn er sicher sein könnte, durch das Volk unterstützt zu werden, bleiben würde.
Und das Volk hatte gerufen:
»Für Gott und den König sind wir bereit, uns vom ersten bis zum letzten umbringen zu lassen!«
Das war die Demonstration, welche die Königin und die ganze Fluchtpartei so sehr erschreckt hatte. Den nächsten Tag, zu derselben Stunde, hörte der König denselben dumpfen Lärm, der mit Heulen und Geschrei vermischt war, wie es der Pöbel aller Länder und besonders der Pöbel Neapels hören läßt. Der König glaubte, es wäre eine harmlose oder wenigstens nur den Worten nach feindselige Demonstration, und begab sich wie gewöhnlich auf seinen Balkon. Die Menge kam dieses Mal von der Seite des Theaters San Carlo herauf und rollte etwas Unförmliches mit sich fort, was der König vergebens zu erkennen bemüht war. Man hörte nur das Geschrei:
»Der Jakobiner! Tod dem Jakobiner!«
Der König fing an zu begreifen, daß dieser unförmliche, blutende, durch den Kot geschleifte Gegenstand sehr wohl der Körper eines Menschen sein könne. Der Körper dieses Menschen, wenn es wirklich ein Körper war, konnte aber nur der eines Feindes sein, und der König war so ziemlich derselben Meinung wie König Carl der Neunte, welcher, indem er den Leichnam des Admirals Coligny betrachtete, sagte: »Die Leiche eines Feindes riecht immer gut!« Somit empfing er die Menge mit seinem gewohnten Lächeln. Als aber die Menge, um dieses Lächeln auf angemessene Weise zu beantworten, den Leichnam aufrichtete, erkannte der König nach einem Augenblicke des Zögerns Ferrari, stieß einen Schrei des Entsetzens aus, wankte zurück, und fiel, die Augen mit den Händen bedeckend,in einen Lehnstuhl. Diesen Augenblick hatte die Königin eben abgewartet. Sie trat ein, nahm den König beim Arm und führte ihn fast mit Gewalt an das Fenster.
»Sehen Sie,« sagte sie, »mit unseren Dienern fängt man an; mit uns wird man aufhören. Das ist das Schicksal, was uns, Ihnen, mir und unsern Kindern, vorbehalten ist!«
»Geben Sie Befehl, und reisen wir ab!« rief Ferdinand, indem er sein Fenster zuwarf, und sich in den Hintergrund seiner Zimmer zurückzog. Die Partie war gewonnen.
85. Kapitel.
Sowie dieser Entschluß gefaßt war, schrieb die Königin an Nelson, der mit gewohnter Eile herbeikam. Sie meldete ihm ihre Abreise, nur der Tag war noch nicht bestimmt. Wenn ich sage der Tag, so sollte ich eigentlich sagen: die Nacht, denn man kam überein, daß die königliche Familie Neapel verlassen sollte, ohne jemandem vorher von dieser Flucht etwas mitzuteilen. Die Königin wendete sich an Nelson und nicht an Caracciolo. Sie tat dies aus zwei Gründen. Der erste war vielleicht die Antipathie, die ihr der neapolitanische Fürst einflößte, obgleich sie nicht umhin konnte, dem Edelmute seines Charakters Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; der zweite und wahrscheinlich hauptsächlichste aber war, daß Karoline einen Neapolitaner nicht die Reichtümer sehen lassen wollte, welche sie mit fortnahm, aus Furcht, daß das Gerücht davon sich in der Stadt verbreiten möchte. Da das Fortschaffen der wertvollsten Gegenstände noch denselben Abend geschehen sollte, so schickte Nelson sogleich folgenden Befehl an den Kapitän Hope, Kommandanten der »Alkmene«: »Drei Barken und der kleine Kutter der ›Alkmene‹, nur mit Säbeln bewaffnet, hat sich punkt halb acht Uhr an der ›Viktoria‹ einzufinden. Eine einzige Barke wird an den Kai anlegen. Die Barken sollen sich vor sieben Uhr am Bord der ›Alkmene‹ vereinigen, unter dem Befehle des Kommandanten Hope. Die
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