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Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titel: Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Altaras
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Angst blieb.
    Wir sitzen auf dem Sofa im Wohnzimmer, beide in unserenSommer-Twinsets, und sprechen – was selten ist – über meine Mutter.
    »Sie hat immer für etwas gekämpft. Das hat sie nicht überlebt«, sagt meine Tante. Sehr verkürzt, aber sehr wahr, wie ich finde. Im Fernsehen läuft eine von Berlusconis unsäglichen Shows. Die Frauen sind mehr als nackt, die Männer wirken komplett zugekokst. Ich stelle heimlich leiser, was meine Tante sofort bemerkt. Sie schimpft: »Ich höre bestens, ich weiß nicht, was du hast!« und stellt wieder lauter.
    Anstatt zu reden, brüllen wir uns an.
    »Mit der gleichen Vehemenz«, schreit meine Tante, »mit der sich deine Mutter ihren politischen Zielen verschrieb, liebte sie deinen Vater. Sie war ihm völlig verfallen. Er wusste, er war ein begehrter Mann. Und er brauchte sie. Eine pragmatische, kluge Frau an der Seite ist Gold wert für jeden, der nach oben will.« Es ist merkwürdig, die Tante so offen und unsentimental über die eigenen Leute sprechen zu hören.
    »Deine Mutter hätte mehr lächeln und schweigen sollen, das sind meine Waffen gewesen. Dein Vater war ein unglaublicher Charmeur. Sie versuchte, alle Frauen um ihn herum wegzubeißen. Und litt. Die Frauen aber blieben. Die Ehe: ein Partisanenkampf. Dennoch, sie hat ihn nie verlassen. Sie ist bei ihm geblieben, aus Liebe, Gewohnheit, Müdigkeit? Diesen Kampf mit ihm hat sie alleine ausgefochten, ohne mich, ohne dich …«
    Wir starren auf den Fernseher. Jetzt ist Berlusconi selbst Gast in dieser stumpfsinnigen Show seines eigenen Senders, die er nach wenigen Minuten komplett dominiert. Er ist halbseiden, seine Anspielungen sind schlüpfrig.
    »Sarkozy ist auch Jude«, fällt meiner Tante dazu ein. Ich weiß nicht genau, worauf diese Bemerkung abzielt.

[Menü]
    der kroatische saftladen
    »Schön, dass du wieder da bist! Du musst heute Abend unbedingt mitkommen. Um 19 Uhr hole ich dich ab. Keine Widerrede! Bis gleich!«
    Raffi nimmt mich mit zu einem seiner berüchtigten »Ich-zeig-dir-mal-was«-Treffen. Er soll über eine Buch-Neuerscheinung berichten und will recherchieren. Ich habe mich breitschlagen lassen, obwohl ich aus Erfahrung weiß, dass solche Abende meist schlecht enden. Den letzten haben wir auf der Polizeiwache in Wilmersdorf verbracht, weil Raffi schon auf der Hinfahrt den S-Bahn-Kontrolleur als Nazi beschimpft hat, der einen schwarzfahrenden Nigerianer aus der Bahn gezerrt hatte.
    Heute sitzen wir in vornehmen Sesseln am Wannsee, trinken kühlen, leichten Weißwein, vielleicht habe ich mich ja geirrt, und es wird ein netter Abend. Eine Doktorandin stellt ihr Buch einer handverlesenen Gesellschaft vor. Die Leute kennen sich, es scheint sich um eine Art Club oder Salon zu handeln. Es geht, so viel wird bald klar, um die Geschichte des Clubs in den Jahren der Naziherrschaft. »Warum müssen wir uns das wieder antun?«, flüstere ich Raffi zu, aber der schläft schon selig in seinem teuren Sessel. Wer sich hier trifft, scheint zur Crème de la Crème zu gehören. Intellektuelle, Historiker von Rang, namhafte Journalisten und Juristen, staatstragende Elite. Die Namen klingen, wenn sie sich zu Wort melden, wie ein Who-is-who der preußischenGeschichte. Das Buch ist nicht sonderlich gut geschrieben, auch birgt es keine Enthüllungen. Nichts, was nicht in anderen Gesellschaftsschichten genauso vonstattengegangen ist. Ich nippe gelassen an meinem Wein, ausgezeichneter Jahrgang. Plötzlich wird es lebhaft. Die Doktorandin hat einen empfindlichen Punkt getroffen: Dieser Salon mit dem guten Namen, der vor dem Krieg noch viel renommierter gewesen ist, dessen Mitglieder nicht nur intelligent waren, sondern aus der politischen und finanziellen Spitze der Gesellschaft stammten – dieser Salon ist genauso kleinmütig gewesen wie ein Kleingartenverein aus Reinickendorf. Man war mit seinen jüdischen Mitgliedern nicht anders verfahren, als es von außen erwartet wurde. Man hatte sie höflich gebeten zu gehen, ihre Mitgliedschaft war nicht mehr erwünscht.
    Raffi ist aufgewacht. Der alte Hund weiß, wann es spannend wird. Empörung geht durch die Reihen. »Das kann nicht sein … viele sind aus Solidarität mit ausgetreten … einige sind in den Widerstand zur ›Roten Kapelle‹ … manche sind sogar ermordet worden …«
    »Die Armen. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Mitglieder ihres feinen Clubs Feiglinge gewesen sind, nicht anders als die vielen anderen auch«, flüstert mir Raffi zu. Wir packen

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